
Eingangs muss ich mich gleich für die außergewöhnlich lange Brutzeit, dieses Schwalbeneis entschuldigen. Meine Kolumne war in letzter Zeit nicht mehr so monthly. Nach meinem Diplom haben sich die Ereignisse ein wenig überschlagen und ich hatte (zum Glück!) viel zu tun. Nebst Bildern entstanden aber die letzten Monate auch einige neue Texte. Sie liegen im Brutkasten, warten darauf zu schlüpfen, zu blättern, das tun Texte im Idealfall. Und eure Hypothalami zu beflattern! Oder in welchen Hirnregionen ihr sie auch immer braucht um ein bisschen etwas durcheinander zu wirbeln Dieses geflügelte Baby aber, widme ich allen Boss Bitches* und allen Soft Girls*, allen Pussies und Puppis! Es ist Zeit Schwestern*, mal wieder Tacheles zu reden. Ich mache den Anfang. Oh ja, in diesem Text soll es um Sexismus gehen. Den männlichen Teil meiner Leserschaft soll das aber nicht ausschließen, im Gegenteil ich freue mich über jeden männlichen Leser! Ich finde Männer ja toll! Ich selbst habe manchmal auch 1 Mann bei mir zu Besuch und es ist meistens recht lustig. Mensch ärgere dich nicht spielen, Tee trinken, Überraschungseier essen … es gibt viele schöne Dinge, die Frau mit Männern machen kann. Ganz viele von denen sind echt normale Menschen! Und um das zu konkretisieren, ich meine natürlich Hetero-Cis Männer. Weil wo wären wir denn, wenn wir nicht für alles und jeden ein Label parat hätten? Stimmt, nicht im Jahre 2021.Was Männer wollen, ist mir persönlich selbst nach Jahre langen Feldstudien, schleierhaft. Was sich in vielen Gesprächen, allerdings gehäuft hat, war folgendes Anliegen: Hetero-Cis Männer wollen von Feminist*innen nicht ständig auf ihre Sexualität oder ihr Geschlecht reduziert werden! Was soll diese Respektlosigkeit? Vor allem, wollen sie sich nicht für alles was sie tun oder sagen rechtfertigen müssen. Das ist doch nervig! Alles was Frauen* also, nicht bloß in der Regel, doppelt so hart betrifft: Beurteilungen über ihr Begehren, ihr Aussehen, ihre Gemütslagen, ihre Entscheidungen, ihre Durchsetzungskraft oder ganz schlicht und ergreifend ihre Existenz, ist für Männer in minimaler Dosierung unerträglich. Ich könnte mich über diese Doppelmoral regelmäßig ins Delirium lachen. Ja! Sexismus ist unerträglich! Und Lebensrealität für Frauen*. Kaum ein Mann ist mir bisher begegnet, der sich der schmerzhaften Wirklichkeit stellen und tatsächlich seine Rolle in dem ganzen Konglomerat an Verhaltensnormen und geschichtlich gewachsenen Sichtweisen, nennen wirs der Einfachheit halber Patriarchat, reflektieren würde. Anstelle dessen wird herumgeheult! Männer sind extrem empfindlich, wenn es um Kritik geht. Es sollte nicht Pussy, sondern Whiny Willie heißen…Der Mann, das fragile, schöne Geschöpf. So zart. So voll … Schönheit. Liebe. Poesie. Nein, das ist nicht einer meiner Witze. Leider kein Wortspiel, sondern tatsächlich der Untertitel einer Ausstellung, die es derzeit in Wien zu sehen gibt. „Tizians Frauenbild: Schönheit – Liebe – Poesie“ heißt die Schau, die am 5. Oktober Im Kunsthistorischen Museum eröffnet wurde. Und während Linda Nochlins Essay „ Why Have There Been No Great Women Artists?“ nachhallt drängt sich mir, nachdem es allerlei Specials um Menschen ins Museum zu locken gibt, folgende Frage auf: Liebes KHM, wann kommt das Seniorenschnitzel?

Ich kann mich irren, aber sonderlich viele Gen Z oder Millennials werden sich wohl über deraert reaktionäre Ausstellungspolitik nicht ins Museum trauen. Ich selbst habe das KHM immer geliebt! Vor einigen Jahren, als rund um die Ausstellung „The Shape of Time“ so herausragende Leute wie Cecily Brown oder Kerry James Marshall eingeladen wurden, saß ich, Kunststudi Streberin die ich immer gewesen bin, im Publikum und habe jedes einzelne Wort der Gespräche aufgesogen. Ich weiß noch ganz genau was Catherine Opie gesagt hat. Sie hat sich dafür bedankt, gezeigt zu werden. Frauen, People of Colour und Queere sollten sich nicht mehr dafür bedanken müssen, die Anerkennung, die sie verdienen, durch Institutionen zu erhalten. Durch alle Epochen durch! Es ist ganz einfach selbstverständlich! Und die reaktionäre Kehrtwende, die dieses Museum nun hinlegt ist mehr als enttäuschend. Sie ist beschämend! Aber gut. Ich werde es Matisse gleich tun, der seinerzeit aus Prinzip keinen Fuß in den Louvre gesetzt hat, weil er mit diesen altbackenen Sichtweisen auf Kunst absolut nichts mehr zu tun haben wollte. Man könnte sich ja ein Beispiel nehmen an der Hamburger Kunsthalle. Andre Epoche, aber die machen es mit Toyen gerade vor. Sie stellen ganz selbstverständlich eine Frau ins Rampenlicht.

Liebes KHM: War Tizian in erster Linie ein Mann oder genial? Ich warte sehnsüchtig auf eine Sofonisba Anguissola Ausstellung. Eine Schau zu Artemisia Gentileschis Lebenswerk. Ja, ich verdurste in der geistigen Wüste genialistischer Männer! Und während ich mich, bei weitem nicht so sexy, wie Tizians Maria Magdalena, durch die Einöde männlicher Sehweisen maledeie, plärren mir Hetero-Cis Männer entgegen: „Was soll das alles mit Sexismus zu tun haben?“ Ganz ruhig Jungs. Bloß nicht hysterisch werden. Ich erkläre es euch. Ich denke, dass sexistisches Verhalten im Alltag unmittelbar zusammenhängt mit der Repräsentation von Beziehungen in Kunst und Popkultur. Natürlich stellt sich die alte Frage, was war zuerst das Huhn oder das Ei? Schaffen Künstler Werke, die Frauen* in degradierenden Positionen zeigen, weil die Gesellschaft sexistisch ist, oder ist die Gesellschaft sexistisch, weil diejenigen, die Kunst machen, sprich, Gedanken, Seh- und Sprechweisen formen, eine sexistische Kultur reproduzieren? Ich bin davon überzeugt, dass wir im übertragenen Sinne, das leben, was wir auf den Leinwänden sehen, gleich ob im Kino oder im Museum. Genau aus diesem Grund ist es so fatal, wenn sich ein Museum seiner verantwortungsvollen Aufgabe in dem Bezug, nicht bewusst ist! Es scheint allerdings generell (noch) sehr wenig Bewusstsein genau hierfür zu bestehen. Am eigenen Leib habe ich das erfahren während meines Studiums. Einmal habe ich mir eine Klassenbesprechung bei Daniel Richter angesehen. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich auch Arbeiten gezeigt, dann geschah etwas Bemerkenswertes. Als ich auf die Frage von Richter, welche Maler ich gut fände, bloß Maler*innen nannte, deren Karrieren sich am Rande der Malereigeschichte abspielten, deren Leben nicht dem gängen Narrativ des jungen, genialistischen, durchsetzungsstarken Mannes entsprachen, da antwortete er: „Die kenne ich nicht. Du interessierst dich ja gar nicht für Malerei“. Ich fand das erstaunlich! Allerdings bin ich Prof. Richter rückblickend für diese Aussage sehr dankbar. Denn sie hat mich eines realisieren lassen: Egal wie sehr ich es versuchen würde, niemals würde ich zum Jungs-Club gehören. Niemals ein Mann sein. Und obwohl ich für Surrealismus herzlich wenig übrig habe, muss ich Dalí an dieser Stelle zitieren. Der sagte mal: „In der Kunst ist es anders, als beim Fußball. In Abseitsstellung erzielt man die meisten Treffer.“ Nun ja, während meines Kunststudiums lag mein Hauptinteresse darauf, zielgenau aus dem Abseits schießen zu lernen. Es kann allerdings gut sein, dass ich mich mittlerweile zu einer passablen Stürmer*in entwickelt habe. Auch wenn es nach außen nicht so wirken mag, es fällt mir öfter schwer, das eigene Können einzuschätzen. Damit bin ich aber nicht alleine. Es scheint ein weibliches Phänomen zu sein. Wir wissen oft nicht, wie stark wir sind. Oder wie gut wir etwas können. Ich denke, dass es etwas damit zu tun hat, dass wir es gewohnt sind in Gesprächen, im öffentlichen Raum, weniger Platz einzunehmen als Männer. Das zeigt sich in den kleinsten, alltäglichen Situationen. „Manspreading“ ist ja mittlerweile ein Begriff. Aber bloß, weil wir es nun benennen können, bedeutet das nicht, dass es damit abgeschafft wäre. Mich erstaunt es immer wieder, wie breit es akzeptiert ist. Wenn ich in einem Transportmittel sitze und für meinen Sitzplatz bezahle, warum kann ich ihn dann nicht für mich alleine benutzen, sobald ein Mann neben mir sitzt? Das ist doch lächerlich. Richtig absurd wird es, wenn Männer versuchen, es mit ihrer Anatomie zu rechtfertigen. Als ob ihnen die Eier abfallen würden, wenn sie weniger Platz beim Sitzen einnehmen. Es hat etwas mit dem Beanspruchen von Raum zu tun! Wenn ein Mann breitbeinig neben einer Frau sitzt, sodass sie die Beine zusammenhalten muss, dann bedeutet das auf symbolischer Ebene: Ein Teil deines Raumes gehört mir!

Wir nehmen Platz ein, in Gesprächen, in der Öffentlichkeit. Wir besetzen diesen Platz mit unseren Körpern, so machen wir ihn uns zu eigen. Wenn es primär Männer sind, die das tun, ist es ein Problem. Sexismus ist ein kulturelles Problem. Er ist in unser aller Handlungen im Alltag eingeschrieben. Wir müssen aber von der Diskussion über die Absichten der einzelnen Subjekte unbedingt wegkommen! Männer sind nicht böse! Sie sind Teil eines Systems. Und wie bereits festgestellt, leider reflektieren viele ihre Rolle nicht. Frauen* sind davon allerdings auch nicht ausgeschlossen. Ich denke, dass es für Frauen* wie Männer*, die sich nicht alten Rollenbildern und Abhängigkeitsverhältnissen fügen möchten, verdammt schwer ist, in einer Kultur, die noch immer so sexistisch ist, gegen zu halten. Wer könnte da ein Vorbild sein? Die Held*in der Stunde heißt … Britney Spears. Ja, richtig gelesen! „Oops I did it again“. Revolutionäres Potenzial in der Popkultur hochhalten! Wir alle, Queere, Frauen*, Männer*, ALLE … sollten Britney feiern! Ihre Geschichte ist eine Allegorie auf den
Freiheitskampf eines Menschen im spätkapitalistischen Patriarchat. Sie war 13 Jahre lang unter der Vormundschaft ihres Vaters. Was für ihn sowie eine Reihe anderer Leute wiederum ein lukratives Geschäftsmodell gewesen sein muss, bedeutete für die Poplegende komplett entmündigt zu sein. Die junge Britney konnte sich schwer wehren, gegen die Übermacht der väterlichen Aufsicht. Doch diesen September wurde wahr, was Britney in dem Song „Stronger“, erschienen im Jahre 2000 besang: „I am stronger than yesterday. Nothing stands in my way“. Sie konnte sich befreien! Ihre Rede vor Gericht rührte nicht bloß mich zu Tränen, und jede*r die*der etwas über weibliche Stärke lernen möchte, lege ich die Netflix-Doku Britney vs. Spears wirklich ans Herz! Sexismus wird nicht über Nacht verschwinden. Und es ist nicht einfach, dagegen anzukämpfen, aber es lohnt sich! Ich möchte mich nun aber nicht zur feministischen Ritter*in aufschwingen, das maße ich mir nicht an. Ich bin nicht Britney. Ich bin einfach nur 1 Maler*in. Aber ich kann für mich selbst sprechen. Ich habe 1 Stimme. Wenn ich morgens aufstehe, in meinem Ohrensessel sitze und Kaffee trinke,
dann schaue ich auf das gerahmte, am Beistelltisch stehende Autogramm, das mir vor einigen Jahren Käthe Kollwitz von den Guerrilla Girls gegeben hat. Ich habe die coolste Künstler*innengruppe der jüngeren Geschichte bei einem Vortrag in Wien gesehen. Mit ihrer Arbeit „Do woman have to be naked to get into the Met. Museum?“ haben sie das Problem rund um den weiblichen Akt auf den Punkt gebracht. In zittriger Vorfreude ging ich also nach dem Talk zu den beiden maskierten Frauen … Ich war total nervös, weil ich so eine Achtung vor ihnen habe. Mit einem lila Edding bewaffnet und einer Karte, sagte ich zu Käthe, dass sie für mich die größten Vorbilder sind! Sie bedankte sich herzlich und schrieb:„Christina, make trouble! Käthe Kollwirtz, Guerrilla Girls“ Das ist mein Mantra. make trouble. Nicht klein beigeben. Vor allem nicht, Ungerechtigkeit akzeptieren. Wenn mich das zur Bitch macht, dann bin ich stolz darauf, eine Bitch zu sein. Schließen möchte ich diesen Text mit einem Songzitat der US-Amerikanischen Künstler*in K.Flay. By the way, mein Herz würde einen Salto schlagen, würde sie mit Britney eine collab machen! Im Jahr 2019 releaste K.Flay das Lied „This Baby Don’t Cry“. Da gibt es eine Zeile, die geht so: „It’s never easy to be different inside, but when you don’t give a fuck, it’s just like riding a bike“. Also einfach mal ein bisschen Rad fahren … ist auch besser fürs Klima.
Chris Kroiss lebt und arbeitet in Wien. Sie ist Malerin und schreibt. www.chriskroiss.com