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A Quiet Storm Blowin‘

R&B, Afro-Feminismus und visionäre Früchte – in der aktuellen Ausstellung im Kunstraum Niederoesterreich geht es um das Zarte, das manchmal Berge versetzen kann. Ein Streifzug durch den Kosmos von Soñ Gwehas Solo-Show A Quiet Storm Blowin‘.
Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin', Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl
Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin‘, Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl

Auf den ersten Blick wirken sie fast ein bisschen unheimlich: Acht schwarze hochaufragende, in violettes Licht getauchte Monolithe – sie bestimmen das Blickfeld beim Betreten der aktuellen Ausstellung im Kunstraum Niederoesterreich A Quiet Storm Blowin‘.  Aus einigen der Objekte dringt Musik. Ein Mix aus House- und Ambient-Sounds, Hip-Hop und R&B erfüllt den Raum – ein Rückverweis auf den Titel der Ausstellung, der einem Song von Motown-Urgestein Smokey Robinson entlehnt ist: Quiet Storm. 1975 veröffentlicht, wurde der Song bald zum Namensgeber für ein ganzes eigenständiges R&B-Subgenre. Die Referenz begegnet uns an den Außenwänden der Monolithe wieder, in die Textfragmente aus Robinsons Soul-Klassiker geritzt sind („At break of dawn“, „Quiet as when flowers talk“, „tender force“).

Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin', Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl
Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin‘, Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl

A (Core) Consultation (2023) hat Künstler:in Soñ Gweha dieses Herzstück der ersten eigenen Solo-Show in Österreich genannt: Was es mit dem eingeklammerten „Core“ auf sich hat? Schiebt man die einzelnen Blöcke ein paar Meter Richtung Raummitte, so entsteht ein Arrangement, das, von oben betrachtet, die Gestalt eines Fruchtkerns hat (genauer: des Kerns der afrikanischen Safou-Frucht). Die Solitäre bilden virtuell ein Ganzes.

Über das Ganze heißt es, dass es mehr sei als die Summe seiner Einzelteile. Dieses Mehr steht im Zentrum von Soñ Gwehas Show. A Quiet Storm Blowin‘ ist eine Ausstellung über die transformativen Potenziale von Empathie, Zärtlichkeit und Lust, die „tender forces“, die im Hintergrund des großen Ganzen wirken – und die manchmal Stürme entfesseln können, die die Struktur des Ganzen von Grund auf verändern.

Als „decolonial ecology in action“ beschreibt Soñ Gweha die eigene Praxis, ein Konzept des martinikanischen Philosophen Malcom Ferdinand aufgreifend. Der andauernden, neokolonialen Ausbeutung von Körpern und Land, so Ferdinand, gelte es eine politische Ökologie entgegenzustellen, die der kollektiven, solidarischen Pflege des Lebens gewidmet ist. Was heißt es, diese Losung in erlebbare „action“ zu übersetzen?

Zwei Leitmetaphern strukturieren A Quiet Storm Blowin‘: Da wäre zunächst die schon erwähnte Safou-Frucht. Hierzulande allenfalls als „exotisches Super-Food“ bekannt, steht sie in Soñ Gwehas Show für eine besondere Form der Verbindung von weiblicher Agency und subversiver Resilienz. Die säuerlich schmeckende Frucht ist vor allem in Zentralafrika verbreitet. Die Frauen, die die Früchte handeln, in Kamerun „Bayam-Sellams“ genannt, genießen in ihren Communities hohes Ansehen. Neben ihrer Bedeutung für die lokale Wirtschaft und die Austauschbeziehungen zwischen Stadt und Land kommt ihnen oft auch eine große Autorität in Fragen des sozialen und spirituellen Miteinanders zu.  

 Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin', Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl
Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin‘, Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl

Mit der Arbeit Des Safous pour les Bayam-Sellams (2021) unweit vom Eingangsbereich des Kunstraums wirft Soñ Gweha ein poetisches Schlaglicht auf diese besondere postkoloniale Konstellation. Zu sehen sind sechs effektvoll inszenierte Arrangements aus Keramik-Nachbildungen der Safou-Frucht. Einige der Objekte sind sorgfältig dem Original nachempfunden, andere tragen deutlich fantastischen Charakter. Als „visionary fruit“ beschreibt Soñ Gweha die Pflanze in einem Interview mit Kuratorin Frederike Sperling. Für Soñ Gweha symbolisiert die Frucht auch eine ökologische Utopie: eine Zukunft, in der der falsche Gegensatz von Natur und Mensch überwunden ist. „We are fruit-bodies as well. Everything is relating, working together. It’s regenerative.“, betont Soñ Gweha.

Das Zitat verweist auf das zweite große Leitmotiv in der Ausstellung: den titelgebenden „Quiet Storm“. In Smokey Robinsons gleichnamiger Soul-Nummer steht die Metapher für eine (erotische) Grenzerfahrung zwischen Zärtlichkeit und Explosivität, Verbundenheit und Freiheit. „At break of dawn / Break of dawn / A power source of tender force“, singt Robinson schwärmerisch an einer Stelle des Songs. Die Erwartung des Neuen und Unbekannten verbindet sich darin mit dem Versprechen der Regeneration, der Überwindung von individuellen und kollektiven Traumata.

 Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin', Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl
Soñ Gweha, A Quiet Storm Blowin‘, Installationsansicht Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl

Neben A (Core) Consultation ist es vor allem die Videoinstallation Riding Apex 1 (Oasis Vector) (2022), die an diese Motivik anknüpft. Soñ Gweha kombiniert darin Elemente aus Queer-Culture und Afro-Feminismus mit Motiven aus der Mythologie der Bassa, einer Volksgruppe in Kamerun. Im Zentrum des Videos steht ein genderloses, in schillernde Gewänder gehülltes Wesen namens Nyum Supernova. Die flirrend über das Bild gleitenden Lichtblitze legen nahe, dass die Gestalt von einer starken äußeren Kraft, einem Sturm, ergriffen ist: „I AM HEALED. / I HEAL. / I GIVE MYSELF TIME.“, tönt es mantraartig aus dem Off, wie um zu betonen, dass von diesem Sturm keine Gefahr ausgeht. Im Gegenteil: Anstelle von Verwüstung bringt er Heilung.

Zugegeben: A Quiet Storm Blowin‘ ist keine Ausstellung, die sich von selbst erschließt. Um den Besucher:innen einen besseren Überblick über den weitläufigen Referenzkosmos der Show zu geben, hat Soñ Gweha im linken Flügel des Kunstraums eine kleine Bibliothek eingerichtet. Das thematische Spektrum reicht von feministischer Science-Fiction über Queer-Theory bis hin zu postkolonialer Filmgeschichtsschreibung. Gleich daneben stoßen wir auf ein DJ-Booth, das sich über die gesamte Breite des Raums erstreckt. Begleitend zur Show findet am 20. und 21.10. (sowie am 17.11.) ein von Soñ Gweha kuratiertes Festival – mit Live-DJ-Sets u.a. – im Kunstraum statt.

Foto: © LynnSK-MEP Paris
Foto: © LynnSK-MEP Paris

Theoriestudium oder Clubnight? In A Quiet Storm Blowin‘ muss man sich nicht entscheiden. Auch das gehört zu Soñ Gwehas Vision einer ganzheitlichen „decolonial ecology in action“, dass beides darin seinen Platz hat: die Reflexion ebenso wie der Rausch.

Ausstellung: A Quiet Storm Blowin‘
Künstler:in: Soñ Gweha
Kuratorin: Frederike Sperling
Dauer der Ausstellung: 06.10.2023 – 02.12.2023

Adresse und Kontakt:
Kunstraum Niederösterreich
Herrengasse 13, 1010 Wien
www.kunstraum.net