Category

Millstatt

Category
inter relations_photo AJ @ andreakschlehwein.com 2022
inter relations. Foto: AJ @ andreakschlehwein.com 2022

Der/die Zuseherin bewegt sich frei und ungebunden zwischen den Aufführungsräumen und nimmt Platz, wo es gerade passt, ob am Boden, der Bühne, am Fensterbrett oder auf vereinzelt in die Räumlichkeiten hineingestreute Sessel. Während dem Publikum keine Grenzen gesetzt sind, sind es die Tänzerinnen, die sich an Grenzen abarbeiten, abkämpfen, aufreiben. Im ersten Raum beobachtet man Unita Gay Galiluyo. Hier sind es vor allem imaginierte, aber umso heftiger interpretierte, äußere und innere Grenzen, die die Frau erstarren, rhythmisch tanzen oder wild durch die Luft wirbeln lassen. Im Hintergrund findet man auf den zweiten oder dritten Blick einen kleinen Bildschirm, verloren in der Weite des Raums. Man kann eine Aufnahme eben jener Choreografie beobachten, die aufgeführt wird, allerdings von einer anderen Künstlerin, in einem anderen Setting. Es springt einen an, die alte Erkenntnis: Mögen die Schritte und Abläufe auch die gleichen sein, ganz und gar – selbst wenn alles perfekt gelingt – kann eine Aufführung nicht wiederholt werden. Das gilt dann, wird hiermit dem Publikum gezeigt, wenn zwei Menschen dieselbe Choreografie betanzen, das gilt aber selbst dann, so ist man versucht weiterzudenken, für jede einzelne „Performance“. Ob auf der Bühne oder im Alltag, manches bleibt – vielleicht auch durch die kulturelle Sozialisation – nicht nachahmbar.

Damit sind die Facetten der Grenze, der Begrenzung, der Eingrenzung aber noch nicht ausgereizt, im Millstätter Art Space.

Im zweiten, engeren, ja im Vergleich zur großen Halle fast kammerartigen Ausstellungsraum – wieder eine Eingrenzung für sich – werfen sich handfeste, physische Barrieren auf. Andrea Maria Handler kämpft dort an gegen sie ganz und gar einhüllende, ja man möchte meinen, erdrückende Fesselungen. Eingepackt in dicke, braune Papierbahnen tanzt sie sich in die Freiheit, wird eingenommen von verbrannt anmutenden, endzeitlichen Verkrustungen, spielt sich in eine Maskerade, gelangt zu einer Befreiung, einer Auflösung. Choreografisch wird hier aus den Vollen geschöpft, wenn die Tänzerin in einmal martialischer, einmal resignierter, dann wieder sanftmütiger Art über das Parkett schwebt. Und über allem, alternierend und aus verschiedenen, unverortbaren Quellen dringen düstere Klänge, die manchmal anheben zu einem Vibrieren, einem Ticken, einem Klingeln. Von einem Raum zum anderen wabern die Soundinstallationen, lenken den Blick des Publikums einmal da hin, einmal dort hin und bringen damit eine Eingrenzung der Wahrnehmung mit sich, aus der man sich fast schon mit lustvoller Gewalt herausziehen muss. Die wichtigste Grenzerfahrung, die das Publikum aber machen kann, ist jene, dass sich die wirkmächtigen Choreografien einer luziden Interpretation entziehen. Und so findet man als Gast in dem Moment Erfüllung, in dem man Emotion und Geist der Performance auf sich wirken lässt. Und am Schluss steht irgendwo die Erkenntnis, dass jeder Mensch seine eigenen Grenzen vielleicht manchmal überwinden mag, dass es aber Grenzen gibt, die nicht aufzulösen sind, wie hier zwischen Publikum und Künstlerinnen. Immer gibt es eine Grenze zwischen uns, die uns abhält ineinander aufzugehen oder ganz und gar einander zu verstehen. Gezwungen sind wir, Individuum zu bleiben.

Seit 2020 inszeniert Andrea K. Schlehwein ihre archipelago-Reihe in Millstatt.

Konzepte, Inszenierung, Künstlerische Leitung: Andrea K Schlehwein
Choreografie / Szenografie: Andrea K. Schlehwein, Unita Gay, Galiluyo, Jye Hwei Lin Tanz
Kreation: NETZWERK AKS Unita Gay Galiluyo, Andrea Maria, Handler
On Screen: Claudia Fürnholzer
Assistenz Research: Alina Jacobs
Produktionsleitung: büro für | theater | produktionen 2022

Andrea K Schlehwein – www.andreakschlehwein.com
NETZWERK AKS – www.netzwerkaks.blogspot.com

Andrea K. Schlehwein - büro für tanz | theater | produktione

Andrea K. Schlehweins Stück ist eine Einladung zu einer tänzerisch-architektonischen Raumerkundung, die es zustande bringt, Entgrenzung und kollektive Geborgenheit in Einem anzubieten.