
In dem körnigen Video läuft eine Figur im Kreis um ein kleines Häuschen herum. Ist das ein buddhistisches Ritual? Das Video stoppt in dem Moment, an dem die Figur fast stolpert, um dann im endlosen Loop die Bewegung von Neuem zu starten. Die Figur trägt einen spitzen Hut – das Video scheint eine Einladung zum Spiel, wie eine Einladung in eine imaginäre Welt.
Secret Outlines ist die erste große internationale Einzelausstellung der belgischen Künstlerin Jacqueline Mesmaeker (1992 Uccle – 2023 Brüssel). Mesmaeker war in der Kunstszene sehr geschätzt, aber einem breiten Publikum bis ins hohe Alter nahezu unbekannt. Jürgen Tabor hat die Ausstellung im Museum der Moderne Salzburg für die Sammlung Generali Foundation kuratiert, sie umfasst eine Retrospektive aus den zentralen Werken der Künstlerin aus den fünf Jahrzehnten ihres Schaffens. Die Ausstellung erstreckt sich über den ersten Stock des Gebäudes am Mönchsberg: Die Besucher:innen werden durch die Räume geführt wie durch Kapitel eines Buches – die Wände haben jeweils eine unterschiedliche Farbigkeit.

Escargot, Champignon, Stilton, Mobylette sind untereinander an der Wand zu lesen. Die Buchstaben sind so angeordnet, dass das O sich von oben nach unten zieht. Wie die Wörter scheint Mesmaeker auch die Dinge aufzureihen, die sie interessieren, von denen eine geheimnisvolle Aura ausgeht. Sie sind wie Elemente einer Geschichte, die die Besucherin nicht kennt. „Man muss sie alle finden, alle“, sagt Mesmaeker in einem Video zu ihrer Arbeit. Sie vergleicht darin die Dinge, die sie sammelt, mit bunt bemalten Ostereier; Für sie ist das Leben ein Spiel, ein Abenteuer, in dem sie Fragmente immer wieder neu zusammensetzt und so die Bedeutung verschiebt. Ihre Arbeiten sind wie Märchen, die man sich in einem Holzunterschlupf im Wald erzählt – Geschichten, die sich ständig verändern. Der Ausgang ist ungewiss.

Ein rosa Hase ist auf Papier gezeichnet, Blatt um Blatt ist weniger von ihm zu sehen, bis er schließlich verschwindet. Rosa Türen werden immer größer und blasser, bis die Farbe nicht mehr zu sehen ist. Darüber sind ein paar Zeilen aus Alice im Wunderland getippt. Mesmaeker hat nach dem Eingang in eine fremde Welt gesucht – und ihn gefunden.
Ihre Wohnung hat sie als Galerie begriffen. Die Lücke zwischen Fußboden und Wand, den Zwischenraum unter dem Holzbrett und seiner Halterung, Löcher in den Wänden hat sie mit rosa Perkalstoff ausgefüllt.
Introductions Roses (2019) nennt sie diese Arbeit. Mesmaeker scheint nicht nach Ruhm und Anerkennung zu gieren – ihr künstlerisches Streben ist ein tieferer innerlicher Antrieb, eine Art Spieltrieb: kindliche Neugierde und der Kitzel des Suchens und Findens. Die Interventionen ziehen sich in Büchern fort, in denen sie zeichnet und Wörter überklebt. Diese Secret Outlines sind Verstecke, Geheimnisse, die darauf warten, entdeckt zu werden. So wie die Stele, in die ein Kerzenleuchter einbetoniert wurde. Davon weiß die Besucherin nur durch die Fotos, die direkt an die Stele anschließen: Sie zeigen Drucke eines Bodenradars, durch die der Kerzenleuchter sichtbar wird. Die Seiten der Stele sind nummeriert, die Drucke ebenso – lässt sich so die Position des Leuchters erahnen? Und wie groß ist er?
Schnell will sie arbeiten, sagt Mesmaeker in einem Video. Schnell, damit die Unmittelbarkeit nicht verloren geht.
Die Künstlerin verwendet einfachste Technik für ihre Arbeiten: Für Les Charlotte II (1977) hat sie etwa Fotos, Text und Glasscheiben kopiert. In der Bildergruppe verarbeitet sie das tragische Schicksal von Charlotte von Belgien. Als Ehefrau von Maximilian von Österreich war sie für kurze Zeit Kaiserin von Mexiko (1864 – 1867), nach Aufständen musste sie jedoch fliehen. Ihr Mann wurde hingerichtet. Charlotte erkrankte psychisch und verbrachte Jahrzehnte interniert in Einsamkeit.

Die Glasscheiben finden sich in Gewächshaus von Maximilian und Charlotte (1977) wieder: Eine Struktur aus Bambus ist mit kleinen Streifen aus Glas verkleidet, die Mesmaeker gefunden hat. Die Glashäuser wurden für den Weinbau verwendet – bevor sie in den 1970er-Jahren aufgrund des wirtschaftlichen Wandels abgerissen wurden. Auf dem Glas ist Kalk zu sehen und Erde, Regentropfen vertrockneten darauf. Ein Glashaus ist ein Raum im Raum, dort herrschen andere Bedingungen. Pflanzen wachsen dort, obwohl das Klima draußen zu kalt wäre. Ein Glashaus ist damit immer ein Möglichkeitsraum. Für Mesmaeker ist es auch eine Leinwand: Für die Installation lässt sie ein Video durch das Gewächshaus projizieren – Mickey Mouse wird durch die Scheiben verzerrt.

Film ist für Mesmaeker eine Form der Malerei: „Filmen ist Erfassen, Projizieren ist Malen“, so beschreibt ein Wandtext die Formel der Künstlerin. Die Belgierin spielte dabei mit unterschiedlichen Projektionsflächen – ihre Filme sind multidimensional, „kaum lokalisierbar“. In der Arbeit Surface de Réparation (1979) sind mehrere Leinwände aufgefächert. Das Ende und am Anfang des Fächers bilden Flächen, auf denen zwei Fußballspieler zu sehen sind. Ein Ball fliegt über den Fächer, manchmal passen die Bewegungen, manchmal scheinen die Spieler in die Luft zu treten. Die Projektion setzt sich an den Wänden und Boden fort, sie bleibt offen und rätselhaft.

Und dann das Meer. Auf See zu sein ist eine Entgrenzung, das Schiff ein Ort großer Ungewissheit. Für den Philosophen Hans Blumenberg ist Schiffbruch eine Ausgangserfahrung1 – als müsste man zuerst fast untergehen, um etwas Neues zu finden. Mesmaeker reizt diese Undefiniertheit des Meeres, immer wieder taucht die See in ihrem Werk auf. In L’Androgyne 2, Boot in Seenot (1987 – 2013) sehen wir das Meer vom Schiff aus – nicht von der Küste. Doch die Besucherin entdeckt eine Möwe, ist etwa bald Land in Sicht? Davor sind Stangen installiert, sie bilden ein T, mit Lichtern an den kurzen Enden. Die horizontale Stange ist schief, um das Schwanken des Bootes nachzuahmen.

Boote finden sich auch in den Schiffslogbüchern (1978). Die See ist unscharf und auch das Schiff verliert seine Konturen, bis es zu einem Geisterschiff auf der Nordsee (1981 -2015) wird. Wollen diese Schiffe am Horizont ans Ufer – und was bringen sie? Oder fahren sie weg auf Nimmerwiedersehen?
Mesmaeker bringt durch ihre Kunst die Wahrnehmung an eine Grenze; Elemente wiederholen sich, neu zusammengesetzt verschiebt sich ihre Bedeutung. Es ist ein Spiel, ein Abenteuer, ein Ort voller geheimnisvoller Hinweise und Rätsel. Die belgische Künstlerin bringt zum Vorschein, was sonst im Verborgenen bliebe – und daraus entspinnt ein bildgewaltiges Universum.
Ausstellung: Jacqueline Mesmaeker – Secret Outlines kuratiert von Jürgen Tabor
Dauer der Ausstellung: 07.03.2025 — 14.09.2025
Adresse und Kontakt:
Museum der Moderne Salzburg
Mönchsberg 32, 5020 Salzburg
www.museumdermoderne.at
- Blumenberg, Hans (1997). Schiffbruch mit Zuschauer: Paradigma einer Daseinsmetapher. Suhrkamp Verlag. ↩︎