Wien Ausstellung

Im Gespräch über „House of Awe“

Mit „House of Awe“ startet vom 15. Oktober bis 21. November 2025 in der AG18 GALLERY ein interdisziplinäres, experimentelles Ausstellungsprojekt mit Werken von Olga Titus und Käthe Schönle, kuratiert von Paula Marschalek. Als Artist Guest ist Birgit Graschopf eingeladen.
Olga Titus & Käthe Schönle, ad fontes, Installation in der Bibliothek von Schloss Salem (D) 2010 © Käthe Schönle
Olga Titus & Käthe Schönle, ad fontes, Installation in der Bibliothek von Schloss Salem (D) 2010 © Käthe Schönle

„House of Awe“ ist als mehrjährige Ausstellungsserie angelegt, in Wien wird nun der erste Teil: „Entrance / The Hallway“ dieses Gedankengebäudes gezeigt. Die Ausstellung lädt dazu ein, Spannungsfelder zwischen Nähe und Fremdheit, Schutz und Begrenzung, Tradition und Transformation zu erkunden und die Kraft künstlerischer Zusammenarbeit erlebbar zu machen.

Wie habt ihr euch kennengelernt und wie kam es zur Zusammenarbeit?
Olga Titus: Käthe und ich trafen uns erstmals bei ihrer Ausstellung am Ende einer Künstlerresidenz in Winterthur. Einige Monate später begegneten wir uns zufällig wieder bei Salem2Salem, einer Residenz in einem ehemaligen Kloster in Deutschland. In dieser inspirierenden Umgebung entstand spontan die Idee einer Zusammenarbeit, ohne konkreten Plan, aber mit dem gemeinsamen Wunsch, eine Installation in der alten Bibliothek zu realisieren. Ein magischer Moment beim Sammeln von Materialien zeigte uns, dass wir intuitiv auf derselben Wellenlänge waren. Als wir bei strömendem Regen zum nächstgelegenen Baumarkt liefen, kamen wir an einem abgeernteten Feld mit schilfähnlichen Halmen vorbei. Ich dachte bei mir: „Vielleicht könnten wir damit etwas machen.“ Etwa zehn Sekunden später sagte Käthe genau dasselbe. Es war einer dieser Momente, wie ein unsichtbarer Faden, der uns verbindet. So entstand aus einem geteilten Bauchgefühl eine vertrauensvolle künstlerische Verbindung.

Käthe Schönle: Dem ist nicht viel hinzuzufügen, außer vielleicht, dass es meiner Erfahrung nach normalerweise eher schwer ist, mit anderen Künstler:innen zusammen an einem gemeinsamen Werk zu arbeiten. Mit Olga fällt es leicht gemeinsam nachzudenken, wir respektieren die andere und unsere jeweiligen Ideen, ergänzen uns dabei aber immer wieder auf interessante Weise und dadurch entstehen eben Werke, die eine allein so nicht gemacht hätte.

Wie trefft ihr Entscheidungen in der Zusammenarbeit?
OT: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Unser Ziel ist es, immer das Projekt in den Mittelpunkt zu stellen und persönliche Befindlichkeiten zugunsten der Arbeit zurückzustellen. In der Realität fehlt uns aber noch die Erfahrung – unsere Zusammenarbeit befindet sich noch in einer Art „Teenagerphase“: nicht mehr ganz am Anfang, aber noch auf der Suche nach einer eigenen Form. Wir entwickeln uns gemeinsam weiter.

Wie sieht die Zusammenarbeit im Speziellen aus?
KS: Wir haben einen spielerischen Ansatz, mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und Freude am Ausprobieren. In einer Art Pingpong schieben wir Ideen, Einfälle und konkrete Werke hin und her. Prozess und Arbeit stehen im Mittelpunkt, wir sind auf Augenhöhe kritikfähig.

Bei den gemeinsamen Arbeiten oder Ausstellungen versuchen wir meist technisch etwas Neues zu machen oder die eigene Praxis zu erweitern. Wir wagen uns dann gemeinsam aufs Glatteis.

Woher kam die Titelidee, und wie interpretierst du sie in Bezug auf deine Arbeit?
KS: Mir gefiel der Begriff des Hauses, weil er sehr vielschichtig ist, so viele Assoziationspunkte anbietet und wirklich jede*r dazu eine Emotion hat. Ein Haus ist eine Verkörperung von Heimat, Zugehörigkeit und Sicherheit. Unser erstes Zuhause ist der Mutterleib und archaische Behausungen waren die nachempfundenen Strukturen wie Höhlen oder Hütten. Zuhause findet Beziehung, Verbindung, Nacktheit, Nahrungsaufnahme statt – ohne zuhause ist man obdachlos, enteignet, instabil.

Käthe Schönle, home, Bleistift, Ölpastell auf Papier, 40 x 30 cm, 2022 © Käthe Schönle.
Käthe Schönle, home, Bleistift, Ölpastell auf Papier, 40 x 30 cm, 2022 © Käthe Schönle

In Träumen wird die Psyche oftmals als Haus dargestellt und es kann sowohl vertraute als auch verborgene Räume geben. Im Haus und Heim kann es auch Gewalt geben, es kann ein Ort das Subjekt nähren aber auch verletzten. Grundsätzlich beschäftigt mich diese tiefe Ambivalenz in der menschlichen Existenz sehr in meiner Arbeit.

Das „Awe“ haben wir gewählt, weil es Staunen, spielerisches Entdecken und den besonderen Moment des Schaffens in der Kunst widerspiegelt.

OT: Meine Assoziationen zum Titel sind eher lose und vielschichtig. Ich sehe das Haus als Hülle, wie einen Körper, vielleicht sogar wie ein Kleidungsstück oder ein Element der Identität. Da sich meine künstlerische Arbeit intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt, betrachte ich das Haus als eine Erweiterung des Körpers, als Sinnbild für das Individuum. Häuser sind oft Träger von Erinnerungen und emotionalen Verbindungen. Dieses Projekt begreife ich als etwas, das sich im Prozess entfaltet und durch Weiterentwicklung seine Form findet. Gerade diese Offenheit und das Potenzial zur Transformation schaffen eine ideale Grundlage für unsere gemeinsame Arbeit.

Olga Titus, Ohne Titel, Pailletten auf Vlieseline, 80 x 60 cm
Olga Titus, Ohne Titel, Pailletten auf Vlieseline, 80 x 60 cm © courtesy of the Artists. Foto: Jörg Rudolph, 2025

Fragen nach Identität, Frau- und Menschsein stehen im Zentrum der Ausstellung. Auf welche Weise spiegeln sich diese Themen in euren Arbeiten konkret wider?
KS: Wie schon erwähnt, beschäftige ich mich stark mit der Ambivalenz des menschlichen Daseins, Strukturen von Beziehungen, in privaten wie auch in größeren sozialen oder politischen Zusammenhängen. Besonders in Zeichnung und Collage arbeite ich mit reduzierter Figuration. In den malerischen Werken werfe ich einen Blick von weit außen auf unsere Welt, versuche Emotionen in einer abstrakten Bildsprache zu fassen.

Käthe Schönle, awe 27, Öl, Acryl auf Leinwand, 160 x 100 cm  © courtesy of the Artists
Käthe Schönle, awe 27, Öl, Acryl auf Leinwand, 160 x 100 cm © courtesy of the Artists

OT: Ganz konkret habe ich eine erweiterte Schutzhülle, ein Kleidungsstück, einen Quilt-Stiefel als Teil der Ausstellung kreiert. Der Stiefel kann auch als portables Haus, eine erweiterte Haut, Schutzhülle des Körpers betrachtet werden. Er macht eine Gradwanderung zwischen High Fashion und subversivem softem Gebilde, welches doch kein wirkliches Modestatement ist. Er marschiert und mäandert zwischen den Mode Boutiquen des ersten Wieners Bezirks. Dreht es sich hier Konsumwelten oder doch eher in seiner camouflageartigen Bemusterung, eine Assoziation mit der gängigen politischen Weltlage? Ich habe textile Fragmente als Sprache des Textildesigns verwendet und nachempfunden. Diese eigens erstellten Batikelemente wurden von mir in analoger Art (Malerei) kreiert, um dann später mittels digitaler Bildbearbeitung zu einem Camouflage Muster zusammengefügt wurden. Camouflage ist für mich spannend, weil es um das Verstecken und Einfügen geht – um Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Zudem verwende ich die Sprache des Quilts, der sinnbildlich für das Zusammenfügen unterschiedlicher Teile zu einem größeren Ganzen steht. Persönliche Geschichten, Materialien, Fragmente oder Perspektiven werden in einem kollektiven Prozess miteinander verwoben. Quilts betonen den Gedanken der Gemeinschaft, Vielfalt, Fürsorge und das Sichtbarmachen von Unsichtbarem – ein Akt des Erinnerns, Teilens und Heilens.

Welche Rolle spielt das partizipative Konzept der Ausstellung?
OT: Das Ausstellungskonzept ist bewusst offen und partizipativ gestaltet. Wir möchten ein möglichst diverses Publikum erreichen und Räume für spannende Gespräche schaffen. Kunst sollte nicht nur einem elitären Zirkel vorbehalten sein, sondern allen offenstehen.

KS: Michael Schmitz von der AG18 GALLERY spricht mit Blick auf das Galerieprogramm gern von „breaking the bubble“. Die Galerie ist sehr offen gegenüber neuen Ideen und Positionen, was ich sehr zu schätzen weiß. Die zeitgenössische Kunst und ihr Betrieb ist ein kleines und teilweise sehr elitäres Feld zu dem es für viele keinen Zugang gibt. Auch darin ist eine große Ambivalenz zu finden, da dies meiner Erfahrung nach nicht den Künstler:innen und deren Anliegen entspricht. Wir versuchen zumindest diese Strukturen etwas aufzubrechen, indem wir das Gemeinschaftliche betonen.

house of awe

Gibt es schon Pläne für weitere Stationen des Projekts?
KS: Wir zeigen in Wien den ersten Raum eines gedanklichen Hauses. Der Plan ist es weitere Räume zu realisieren, wobei ein Raum dann einer Ausstellung entspricht. Konkret durchgeplant ist dies noch nicht, aber das Projekt ist langfristig angelegt und wird wie ein Haus Stück um Stück gebaut.

Was erhoffst du dir rückblickend von diesem Projekt?
OT: „House of Awe“ ist für mich ein inspirierender Funke, ein Anfang, der sich idealerweise zu einer Reihe weiterer Kollaborationen entwickeln kann. Ich wünsche mir, dass mein zukünftiges Ich auf dieses Projekt zurückblickt und sagen kann: „Ich war mit voller Überzeugung dabei – künstlerisch wie menschlich.“ Dass aus dieser anfänglichen Idee etwas Gewachsenes entstanden ist mit neuen Menschen, Gedanken, Projekten. Ich wünsche mir, dass es eine bleibende Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit schafft und, dass sich der ursprüngliche Impuls stetig weiterentwickelt, positiv, offen und lebendig.

KS: Ich schließe mich Olgas Aussagen an. Ich hoffe, wir schaffen Räume, die etwas anders als üblich mit dem Schaffen von Kunst und deren Präsentation umgehen, das Staunen, das Gemeinsame, die Verbindung durchscheinen lassen.

Die Präsentation des Projekts „House of Awe. Entrance / The Hallway“ findet vom 15. Oktober – 21. November in der AG18 GALLERY Wien. Als Artist Guest ist Birgit Graschopf eingeladen.

Öffnungszeiten: Mi – Fr, 15:00 – 19:00, Sa, 11:00 – 16:00 oder nach Vereinbarung mit Galerie
Vernissage: 15.10.2025, 18:00
Art, Talk & Eat mit Diversoviel „Unterwegs sein & Ankommen“: Fr, 24.10.2025, 18:00
Network Event „Female Force in the House“: Sa, 15.11.2025, 11:00 bis 15:00

Adresse und Kontakt:
AG18 GALLERY
Annagasse 18, 1010 Wien
www.ag18gallery.com


Käthe Schönle studierte Freie Kunst und Visuelle Kommunikation an derKunsthochschule Kassel. Ihre Arbeiten im Bereich Malerei, Zeichnung undCollage sind eine subtile Betrachtung der menschlichen Existenz aus feministischer Perspektive und hinterfragen Strukturen und Beziehungsgeflechte in persönlichen und gesellschaftspolitischen Kontexten.

Olga Titus spielt in multimedialen Ausdrucksformen mit unterschiedlichenkulturellen Zeichensätzen. Mit Video- und Filmschnittprogrammen erstelltund animiert sie bunte und symbolträchtige Fotomontagen, deren Bestandteile häufig von Bildern aus dem Internet stammen.

Das Werk beider Künstlerinnen wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen national und international gezeigt und ist in privaten undinstitutionellen Sammlungen vertreten.

Das Werk von Birgit Graschopf umfasst ein vielschichtiges Spektrum: Fotografien auf Sandpapier, Zement, Pappe. Ein raues Material, das jedoch ebenso glitzernd, geheimnisvoll und optisch samtig wirkt. Die Künstlerin fasziniert besonders das Unheimliche, Geheimnisvolle und Unnahbare in Verbindung mit dem Femininen und wählt für ihre Arbeiten oft verlassene, leere und weitläufige Orte.

Kuratorin: Paula Marschalek ist eine österreichische Kunsthistorikerin, Kulturmanagerin, Kuratorin und Autorin. Mit Marschalek Art Management entwickelt sie individuell zugeschnittene Kommunikationsstrategien für Kunst- und Kulturschaffende.