Wien Kunst
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Interview. Rica Fuentes Martinez

Rica Fuentes Martinez geht den Dingen mit Neugier auf den Grund. Ernsthaft und konsequent. Vielseitig, in unterschiedlichen Genres und Themenbereichen unterwegs, richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf Details und auf ein mögliches großes Ganzes gleichermaßen.
Brust II Bleistift, Tusche auf Papier 30 x 40 cm, Wien 2021
Brust II Bleistift, Tusche auf Papier 30 x 40 cm, Wien 2021

Ja, den Dingen auf den Grund gehen: Was könnten patriarchale Systeme mit dem Klimawandel zu tun haben? Warum wird in einer patriarchalen Gesellschaft Weiblichkeit marginalisiert, obwohl Frauen keine Minderheit sind? Wie intensiv hat unsere Gesellschaft auf das Risiko des neuen Corona Virus reagiert? Welche Verhaltensmuster wurden durch diese Angst getriggert? Hirnwixen! Carpe Diem! Der Weg als Ziel. Das Ziel im Weg. Ursache und Wirkung. Aufkommendes Missverstehen wird als Teil des Verstehens gedacht und ist ebenso wie das Scheitern Programm und Inspiration.

Was hat dich nach Wien geführt?
Als ich knapp 3 Jahre alt war, sind meine Eltern (mein Vater, gebürtiger Steirer und meine Mutter, Spanierin aus der Provinz Guadalajara) nach Wien gezogen. Meine gesamte Kindheit und Jugend verbrachten wir jährlich durchschnittlich zwei Monate in Spanien. Die Unterschiedlichkeit dieser zwei Kulturen war für mich sehr prägend: Wien war in den Achtzigern (bis weit in die Neunziger) eine graue, verschlossene, unfreundliche und fremdenfeindliche Stadt- genau das Gegenteil meiner Geburtsstadt, Barcelona. Ab den 90er Jahren spürte ich, wie Wien langsam einen Wandel begann. Das Lichtermeer (Wien, 1993) ist mir bis heute als unglaublich großes, solidarisches Zeichen und Ereignis in Erinnerung.

Was inspiriert dich? Was fasziniert dich?
Zur Inspiration kann für mich alles Mögliche werden: Ein Besuch im Museum, Musik, Lyrik, eine Lesung, die Natur, das Meer, ein gutes Gespräch, ein Konzert, eine Doku etc. Der Satz aus dem Film Matrix Reloaded des Merowingers „[…] Kausalität: Aktion – Reaktion, Ursache und Wirkung. […] Entscheidung ist eine Illusion, entstanden zwischen denen mit Macht und denen ohne. […]“ inspiriert mich, seitdem ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Der Grundgedanke, dass jedes Ereignis eine Ursache in einem anderen Ereignis hat und selbst Ursache eines weiteren Ereignisses ist, finde ich überaus spannend. Die Problematik von Kausalitäten und deren Feststellung ist mir bewusst und die Frage: In wieweit wir Ursächlichkeiten überhaupt beurteilen können, da wir doch Teil von Kausalitätsketten sind? In der Gehirnforschung wird bereits darüber diskutiert, „wer“ unsere Entscheidungen trifft: Unser Unterbewusstsein oder das Bewusstsein? Es gibt Studien, die dafür sprechen, dass unser Gehirn unbewusst Entscheidungen vorbereitet, bevor wir sie treffen. Und so steht die Frage nach dem freien Willen im Raum…sehr spannend, wie ich finde! Faszinierend finde ich, wie belebte und unbelebte Welten zusammenhängen. Kreisläufe aller Art, Symbiosen, Pilze, Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere. Menschen. Die Frage „Warum?“. Und die Frage: „Warum nicht?“.

Wie beschreibst du deine Kunst?
Meine Tuschzeichnungen sind ernsthaft und präzise. Der inhaltliche Kontext ist mein Antriebsmotor. Bevor ich ein Bild beginne, recherchiere ich und lese mich in die Thematik ein. Ich mutiere zu einer Forscherin. Ich brauche Zeit, um meine Gedanken und die dazugehörigen Fakten zu ordnen und zu archivieren. Wenn ich genügend Material habe, selektiere ich und erst dann beginne ich zu zeichnen. Dieser gesamte Prozess ist Teil meiner Arbeit. Beim Performen habe ich eine ähnliche Herangehensweise – ob in einer Gruppe oder Solo – zuerst steht mal eine Gedankensammlung am Programm – der Output ist natürlich ein anderer: Meine Zeichnungen würde ich als konzeptionell beschreiben… beim Performen passiert manches auch recht spontan, was ich auf eine spielerische Art positiv aufregend finde.

Salmonellen gehäkelte Objekte auf Ø 8 cm Holzrahmen Baumwolleinen. Baumwolle. Füllwatte Wien 2022 Helicobacter Pylori Ø 8 cm Holzrahmen bestickt Boumwollleinen. Seidengarn Wien 2022 Pneumokokken gehäkelte Objekte auf Ø 8 cm Holzrahmen Baumwolleinen. Baumwolle. Füllwatte Wien 2022 Meningokokken Ø 8 cm Holzrahmen bestickt Boumwollleinen. Seidengarn Wien 2022
Salmonellen gehäkelte Objekte auf Ø 8 cm Holzrahmen Baumwolleinen. Baumwolle. Füllwatte Wien 2022 | Helicobacter Pylori Ø 8 cm Holzrahmen bestickt Boumwollleinen. Seidengarn Wien 2022 | Pneumokokken gehäkelte Objekte auf Ø 8 cm Holzrahmen Baumwolleinen. Baumwolle. Füllwatte Wien 2022 | Meningokokken Ø 8 cm Holzrahmen bestickt Boumwollleinen. Seidengarn Wien 2022

Erzähle uns mehr über deine Serie mit dem Namen „Grund-Risse“.
Die Arbeiten der Serie Grund-Risse sollen transdisziplinäres Denken fördern: Bewusstsein und Achtsamkeit (ein genaueres „Hinsehen“) auf die Komplexität unserer Gesellschaft, der Wissenschaften, unserer Geschichte und deren Zusammenhänge; Der Fokus der Tuschzeichnungen liegt auf der Gegenüberstellung historischer Vorstellungen verschiedener Geisteswissenschaften mit unserem derzeitigen Wissensstand. Ich stelle also diese zwei Schichten (Bleistift und Tusche) in einen geschichtlichen und einen gesellschaftlichen Kontext und versuche wissenschaftliche Fakten mit soziokulturellen Fragen auf einer bildnerischen Ebene darzustellen. Beide Ebenen stehen in Beziehung zueinander und bilden zusammen sie etwas Neues. Die Bleistiftzeichnung steht für die geschichtliche Spur der Menschheit, die vieles nicht oder nicht besser wusste und auf Glauben und Vertrauen angewiesen und somit auch manipulierbar war und dadurch den Kräfteverhältnissen machtlos und ratlos gegenüberstand. In der heutigen Situation stellen sich wiederum Fragen nach der Verfügbarkeit von Wissen und nach der Wirksamkeit manipulativer Praktiken. Wir stehen heute am Anfang der dritten Revolution: der digitalen „Wissensrevolution“. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit steht Wissen in bisher unbekanntem Ausmaß für viele Menschen zur Verfügung. Zugleich werden Interessenskonflikte, Ausschlussverfahren und Propaganda wirksam. Stichwort: Algorithmen beziehungsweise Verbreitung sogenannter „alternativer“ Fakten. So erleben wir gerade jetzt, dass Menschen zu Opfern von Verschwörungstheorien, Aberglauben und Falschinformationen werden: Donald Trump und sein Mob; die Corona-Pandemie; der russische Angriffskrieg und der Klimawandel. Das digitale Zeitalter kann uns durch Verweben und Verbinden wissenschaftlicher Erkenntnisse und Wahrnehmung der Wirklichkeit helfen, aus diesem Kreislauf von Zerstörung und Wiederaufbau zu entkommen. Zugleich können und müssen wir lernen, uns mit anderen Lebewesen zu verbinden, verbünden, vernetzen und sowie bestehende Verbindungen anzuerkennen und in diesem Sinne handeln.

Gibt es ein Motiv, dass bei dir häufig vorkommt?
Ja, chemische Formeln und mikroskopische Zeichnungen.

Wie drückst du dich am liebsten aus?
Ich zeichne und performe ich am liebsten. Das sind zwei Ausdrucksweisen, die mich zu gleichen Teilen aber sehr unterschiedlich herausfordern. Herausforderungen aller Art spornen mich an.

Künstlerin Rica Fuentes Martinez
Künstlerin Rica Fuentes Martinez

Woran arbeitest du gerade?
Ich arbeite gerade an mehreren Projekten gleichzeitig: Ich sticke und häkle Bakterien und setze mich dabei mit deren Erscheinungsformen und den Größenverhältnissen auseinander. Zugleich arbeite ich weiterhin an den Grund-Rissen. Da habe ich vor kurzem das dritte und letzte Bild der „Yersinia Pestis“-Trilogie begonnen. Als Grundriss habe ich das Gemälde „Die Pest“ von Arnold Böcklin gewählt. Dieses Bild interessiert mich aus verschiedenen Gründen: Es war sein letztes Werk, das er mit 71 Jahren malte und nie beendete – Böcklin war durch seine letzte Krankheit schwer gezeichnet und starb nach einem Schlaganfall am 18. Jänner 1901. Überaus spannend finde ich, dass der Schweizer die Pest nie erlebt hat – dafür aber die Krankheiten Cholera und Typhus, an die er zwei seiner Söhne verlor. Es war ihm offenbar bewusst, dass die Pest zuvor viele Generationen an Menschen traumatisiert hatte – vielleicht wollte er sich mit all den Trauernden der Geschichte solidarisieren und dieses generationenübergreifende Trauma darstellen – er hätte ja sonst sein Bild auch „Die Cholera“ nennen können. Den starken Ausdruck der Angst vor der Willkürlichkeit und Macht des Todes in diesem Bild finde ich sehr beeindruckend.

Rica Fuentes Martinez – www.ricafuentes.com, www.instagram.com/ricafuentesmartinez/