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Andere Spiele. OMSK Social Club

Welcome to the tomb! Im Rahmen seiner zweiten Ausstellung in diesem Jahr zeigt der Kunstraum Niederoesterreich die Arbeit T(( ))mb des Berliner Künstler:innen-Kollektivs OMSK Social Club: ein multimediales Rollenspielszenario an der Schwelle zwischen Realität und Fiktion.
OMSK Social Club, T(( ))mb, Installation views at Kunstraum Niederoesterreich, Photo: © Markus Gradwohl
OMSK Social Club, T(( ))mb, Installation views at Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl

„Wir alle spielen Theater“, lautet der Titel eines einflussreichen Werks des Soziologen Erving Goffman. Menschliche Interaktion, so Goffman, folge impliziten sozialen Skripten. Indem wir uns in den Bahnen dieser Skripte bewegen, verlässlich unsere Rolle (z.B. als Partner, Mutter, Vorgesetzte etc.) spielen, „performen“ wir Gesellschaft – mitsamt den ihr eigenen Hierarchisierungen, Ausschlüssen und Asymmetrien. In der Regel bleibt uns dieser performative Aspekt, dieser „Als-ob-Charakter“ unserer sozialen Interaktionen verborgen. Erfahrbar wird er nur, wenn wir beschließen, mit den Spielregeln zu brechen, unsere Rollen ablegen und uns auf die Suche nach anderen (freieren?) Möglichkeiten des Spiels begeben. 

Ein Modell eines solchen „anderen“ Spiels – eines Spiels an der Schwelle zwischen Realität und Fiktion – ist derzeit im Kunstraum Niederoesterreich zu sehen: T(( ))mb (gesprochen: Tomb, engl. Gruft) vom Berliner Künstler:innen-Kollektiv OMSK Social Club.

2016 in Berlin gegründet, am Kreuzungspunkt von Kunst-, Rave-, Black-Bloc- und Anarcho-Szene, steht OMSK für eine Form von kollektiver künstlerischer Praxis, die das Ästhetische konsequent mit dem Politischen verknüpft. Survivalism, Catfishing, Rave-Culture, Krypto-Währungen – dies sind nur einige der Phänomene, mit denen OMSK sich in seinen Filmen, Installationen und Environments auseinandersetzt. Ihre Themenfelder erschließt sich die Gruppe auf dem Wege sogenannter Real Game Plays (Kurz: RGPs). Anders als beim konventionellen LARP (Life Action Role Play), bei dem die Spieler:innen für gewöhnlich auf Basis klar definierter Spielregeln und Skripte agieren, ist bei RGPs tendenziell unklar, wo die Grenze zwischen Realität und Fiktion, Alltag und Rollenspiel verläuft. Ziel ist es, ein Bewusstsein für die prinzipielle Konstruiertheit (und Veränderbarkeit) der sozialen Wirklichkeit zu erzeugen.

OMSKs neueste, eigens für den Kunstraum Niederoesterreich produzierte Arbeit T(( ))mb ist ein Trip ins Innere eines solchen RGPs – buchstäblich: Die einzelnen Elemente der Show – eine fünfteilige Fotoserie, ein sich weithin durch den Ausstellungsbereich schlängelnder Holzsteg, eine Kunstschnee-Landschaft – sind konsequent auf den Screening room im rechten Teil des Kunstraums hin arrangiert. Die Projektion im Inneren gibt einen Einblick in die titelgebende T(( ))mb.

OMSK Social Club, T(( ))mb, Installation views at Kunstraum Niederoesterreich, Photo: © Markus Gradwohl
OMSK Social Club, T(( ))mb, Installation views at Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl

Der Film zeigt Szenen einer RGP-Session, zu der OMSK Anfang Mai in einem leerstehenden Landhaus unweit der deutsch-polnischen Grenze eingeladen hat. Für drei Tage ist die Gruppe in die Welt von Aria, Eden, Hollis, Skyler und Lennox, den fünf Bewohner:innen der T(( ))mb, eingetaucht. Der Film selbst gibt über die besonderen Produktionsumstände des Projekts keinen Aufschluss. Er vertraut ganz auf die immersive Kraft des fiktiven T(( ))mb-Universums, in das wir peu à peu mit hineingesogen werden.

Wir lernen Eden kennen, die, offenbar hochschwanger, über die sinistren Sprachspiele des Patriarchats und ihre Rolle als werdende Mutter nachsinnt. Wir begegnen Skyler, die das Sprechen, so scheint es, komplett eingestellt hat, und nur mehr über Geräusche mit ihrer Umwelt in Kontakt tritt. Zwischendurch sehen wir immer wieder Aria, Lennox und Hollis, die manisch mehrere Meter Papier mit obskuren Schriftzeichen füllen.

Was genau es mit diesen Praktiken auf sich hat, können wir zunächst bloß erahnen. Das Voiceover hilft nur bedingt weiter. Von „socio-cultural information matrixes“, „rhizomatic chronologies“ und „asemic investigations“ ist dort die Rede. Weiters erfahren wir von einem seltsamen Forschungsprojekt des deutschen Bundesverteidigungsministeriums mit dem Titel Cassandra (nach der gleichnamigen tragischen Seherinnengestalt aus der griechischen Mythologie), das, wie uns das Ausstellungsbooklet verrät, wohl wirklich existiert hat: „In spring 2017, unit Cassandra began: Cassandra’s first task was to demonstrate how the war in Kosovo and the rise of Boko Haram could have been predicted through the study of literary texts. They developed a method converting literary insights into hard facts that could be used by military strategists.“ Literatur als Krisenseismograf?

Eines ist klar: Das „Wort“ – Schlüsselmedium menschlicher Kommunikation – hat unter den T(( ))mb-Bewohner:innen keinen guten Ruf. Statt Aufschluss über die Welt zu geben, sperrt es die Dinge in rigide Begriffssysteme ein. Statt Kontakt und Kollektivität zu stiften, dient es mächtigen Staatsapparaten als Überwachungstool. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, heißt es bei Ludwig Wittgenstein. OMSK geht noch einen Schritt weiter: „Language“, lesen wir an einer der Wände des Kunstraums, „is among a norm-based society’s most effective prisons.“

OMSK Social Club, T(( ))mb, Installation views at Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl
OMSK Social Club, T(( ))mb, Installation views at Kunstraum Niederoesterreich, Foto: © Markus Gradwohl

In T(( ))mb werden wir Zeug:innen eines kollektiven Versuchs, aus diesem „Gefängnis“ auszubrechen, ein Spiel zu spielen, das über die engen Grenzen der Sprache – und der sozialen Wirklichkeit, die sie erzeugt – hinausweist. Ob der Ausbruchsversuch gelingt, bleibt dabei unklar. Allein die Schlusssequenz des Films mag einen Hinweis liefern: Am Ende sehen wir Lennox selbstvergessen durch einen der weitläufigen Salons des Hauses tanzen. Langsam beginnt sich ihr Tanz zu verselbstständigen. Sie springt, stöhnt, schlägt ziellos um sich, rotiert erratisch auf allen Vieren auf dem Boden. Ein Bild der Ekstase, frei von Performance- und Kommunikationsdruck, das Dokument eines Grenzgangs zwischen den Welten. Wir alle spielen Theater? Lennox, so scheint es, hat sich von diesem Zwang befreit.

Ausstellung: T(( ))mb
Künstler:innen: OMSK Social Club
Dauer der Ausstellung: Mi, 07.06.2023 – Sa, 29.07.2023
Kuratorische Unterstützung: Frederike Sperling

Adresse und Kontakt:
Kunstraum Niederösterreich
Herrengasse 13, 1010 Wien
www.kunstraum.net