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Interview mit Christian Fogarolli

Der italienische Künstler Christian Fogarolli konzentriert sich in seiner Arbeit auf den Zusammenhang zwischen visueller Kunst und wissenschaftlichen Disziplinen und wie die so entstehende Synergie zur Weiterentwicklung dieser Bereiche beigetragen hat.
interview christian fogarolli
Christian Fogarolli an der Arbeit bei Seguso Vetri d’Arte in Murano Island.

Seine Arbeit stellt die Zuständigkeiten für die Regulierung von Krankheiten und Unregelmäßigkeiten sowie die Methoden der Kategorisierung von Museen, Wissenschaftlern und Archiven in Frage. Fogarolli hat soeben seine dritte Ausstellung über das Pneuma-Projekt in Löwenbräukust in Zürich abgeschlossen, die in Zusammenarbeit mit dem Italian Council Preis des Ministeriums für Kultur und Tourismus durchgeführt wurde. Durch diese kam er mit zahlreichen europäischen Gegebenheiten, die zur Erforschung der Immaterialität und Unantastbarkeit psychischer Erkrankungen geführt haben, in Berührung,

Vor kurzem stellte er seine Arbeit in Wien am Grand Etablissement Gschwandner Reaktor mit einer großen Installation vor, die Konzepte von Wissenschaft und Alchemie beängstigt und eine Brücke zwischen historischen und zeitgenössischen Konzepten zu Inkonsistenz und Rationalität schlägt.

Christian Fogarolli, The Outer Reaches of the Inner Self, Detail, Etablissement Gschwandner Reaktor, Wien.
Christian Fogarolli, The Outer Reaches of the Inner Self, Detail, Etablissement Gschwandner Reaktor, Wien.

Wie würdest du deinen Arbeitsprozess beschreiben?
Mein Arbeitsansatz beruht im Allgemeinen auf dem Bau von Projektblöcken, die eine Reihe von Arbeiten in Verbindung mit dem untersuchten Thema enthalten. In vielen Fällen wird die Forschung durch Archivstudien oder persönliche Vertiefung der Dynamik im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Kunst, Medizin und Wissenschaft entwickelt.

Die Arbeit an Pneuma erwies sich ja als äußerst aktuell, da sie im Dialog mit der aktuellen weltweiten Notlage Covid-19 steht. Wie beeinflusste der weltweite Notstand den kreativen Prozess und den Ablauf des Projekts?
Das Projekt in seiner Entwicklung fand sich im Dialog und auch in einem erzwungenen Zusammenhang mit der gegenwärtigen weltlichen Notlage in vielerlei Hinsicht wieder. Erstens die Bezeichnung Pneuma, die im Mai 2019 unerwartet in Bezug auf den historischen Moment gefunden wird, und zweitens die psychologischen Auswirkungen, die diese Ereignisse auf kollektiver und individueller Ebene beeinflussen können. Darüber hinaus belegen die Ärzte des Ditan Hospital in Peking und andere kürzlich erhobene wissenschaftliche Daten, dass das Virus das zentrale Nervensystem angreifen kann. Werden wir in der Lage sein, einen Prozess der Stigmatisierung und der Neubewertung von Geisteskrankheiten einzuleiten, angesichts der neuen, durch Angst und Isolation verursachten Belastungen?

Die Forschung zum Pneuma-Projekt lässt sich in zwei Teile unterteilen: die erste von September 2019 bis März 2020, die durch Reisen, Begegnungen und den tatsächlichen Austausch von Momenten und Erfahrungen vor Ort durchgeführt wurde; Die zweite Phase seit März 2020, in der Studien und Verbindungen in einen virtuellen Zustand übergegangen sind, hat fast den empathischen Aspekt, den wichtigsten und wertvollsten, verdrängt.

Christian Fogarolli, Pneuma, 2020, Ausstellungsaussicht Löwenbräukunst Contemporary Art Center, Zürich. Courtesy the Artist und Italian Council.
Christian Fogarolli, Pneuma, 2020, Ausstellungsaussicht Löwenbräukunst Contemporary Art Center, Zürich. Courtesy the Artist und Italian Council.

Welche Bedeutung haben Beziehungen zu Menschen, Forschern oder Forschern in deiner Forschung?
Die Synergie mit Menschen, die mit der Erforschung von Themen beschäftigt sind, die für mein Denken sensibel sind, ist entscheidend für die Schaffung eines Substrats des Bewusstseins, das die Grundlage für jedes Projekt bildet. Diese Berichte sind ein Vorverfahren für den Bau der gesamten Arbeit und der gesamten Werke, und selbst sie enthalten das Ergebnis dieser Erfahrungen in ihrer Form und Substanz.

Ist der Rat der Auffassung, dass die Erfahrung der erzwungenen Isolation, die die Bevölkerung erlebt hat, ebenfalls einen neuen Leseschlüssel zur sozialen Ausgrenzung geliefert hat?
Die psychologischen Auswirkungen dieser kollektiven traumatischen Ereignisse auf den Einzelnen sind beträchtlich. Das Thema der Isolation ist sehr komplex, insbesondere wenn die erzwungene soziale Ausgrenzung mit Fragen der öffentlichen Sicherheit vermischt wird. Der Gesundheitsnotstand hat auch schwerwiegende psychische Folgen. Pneuma hat mich erneut auf zwei Situationen aufmerksam gemacht, die ich in Bezug auf kollektive und individuelle Abweichungen für sehr aktuell halte. „The Flock effect“ und die „Hikkomori“, zwei ähnliche und unglaublich aktuelle Fälle, die sich aus der Nutzung der neuen Technologien und des Netzes ergeben. Das erste Mal, dass Menschen sich zu einer Art kollektivem Wahnsinn zusammenschließen, Der zweite Fall bezieht sich auf die modernen Einsiedler, die vor allem in den östlichen Gebieten sehr stark entwickelt sind, in denen die Menschen die reale Gesellschaft ablehnen und in völliger Isolation leben wollen, indem sie sich ausschließlich mit digitalen Geräten vernetzen.

Christian Fogarolli, Lumiére de l’âme, 2018, Installation, Stahl, Gläser, Stein, Licht, Kunststoff, 180 x 50 x 50 cm. Courtesy the Artist und Galerie Alberta Pane, Paris/Venedig.
Christian Fogarolli, Lumiére de l’âme, 2018, Installation, Stahl, Gläser, Stein, Licht, Kunststoff, 180 x 50 x 50 cm. Courtesy the Artist und Galerie Alberta Pane, Paris/Venedig.

Mit welchen Medien arbeitest du?
In meiner Praxis verwende ich verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten: Das Foto wird oft auf verschiedenen Materialien, von klassischem Papier aus Baumwolle und Reis über Stein bis hin zu Metall, geprägt. Auch in der Bildhauerei und den Installationen werden verschiedene Materialien verwendet: Stahl, Glas, Spiegel unterschiedlicher Art und Reflexionen, organische Gegenstände und Materialien. Das sich bewegende Bild ist auch in meinem Interesse und interagiert in einigen Fällen mit anderen Arbeiten, indem es eine wechselseitige Verbindung und Beziehung herstellt.

Das sich bewegende Bild ist auch in meinem Interesse und interagiert in einigen Fällen mit anderen Arbeiten, indem es eine wechselseitige Verbindung und Beziehung herstellt.

Wie wird die Kunst von der Wissenschaft beeinflusst? Kann die Kunst eine Wissenschaft werden?
Wenn Kunst eine Wissenschaft wird, wird sie automatisch keine Kunst mehr sein. Ich würde fast behaupten, dass wir im Moment schnell auf diese Hypothese zusteuern. Kunst ist seit jeher von Naturwissenschaften beeinflusst, sie hat ihre Entwicklung, ihre Erfolge und auch ihre Misserfolge unbewusst absorbiert. Ebenso hat die Wissenschaft seit jeher Kreativität und Kunst für Entwicklung und Fortschritt genutzt.

Was sind deine jüngsten Ausstellungen und was planst du für die nächsten Monate?
Die letzten Monate waren in jeder Hinsicht sicherlich kompliziert, ich habe mich vor allem dem Pneuma-Projekt gewidmet, das mehrere persönliche Ausstellungen in Europa wie die STATE Studio in Berlin, Mare Museum of Contemporary Art in Bukarest, Löwenkunst Contemporary Art Center und schwarzescafé in Zürich. Ich arbeite jetzt zusammen mit meinen Mitarbeitern an einer neuen Monografie, die im Jahr 2021 veröffentlicht wird, und an zwei neuen Projekten.

interview christian fogarolli
Christian Fogarolli, Pneuma, 2020, Ausstellungsaussicht, MARe Museum of Contemporary Art in Bucharest. Courtesy the Artist und Italian Council. Foto von Rares Toma.

Erst vor wenigen Wochen hast du die letzte grosse Ausstellung in Wien am Etablissement Gschwandner Reaktor durchgeführt. Worum geht es und wie hast du das erlebt?
Es ist seltsam und paradox, in einem Moment der sozialen Isolation in einem großen geschlossenen Gebäude zu arbeiten, das im 19. Jahrhundert für Zeremonien, Tänze und Empfänge erbaut wurde. Die Ausstellung entfaltet sich über drei Räume, im Hauptraum erstreckt sich eine Site-Specific-Installation von etwa 400 m2. Es ist eine psychologische Landschaft bestehend aus ausgedehnten Dünen aus Mineralsand, Glasskulpturen, Marmor, Farbpigmenten, die durch Licht verschiedener Frequenzen, Kanäle mit Flüssigkeiten unterschiedlicher Farbtöne mutieren. Wenn man um diese archäologische Baustelle geht, wie von einer klassischen Basilika umgeben, erfährt man ein Gefühl von Eigenartigkeit, wie ein Schritt in eine andere Dimension der Vorstellung, des Traums, des Alptraums und der Wiederentdeckung. Der Eintritt in den Weltraum von einem hellen zu einem dunklen Bereich sorgt für einen stimmungsvollen Durchgang und das Gehen um den Raum wird fast hypnotisch, eine übersinnliche und introspektive Erforschung, die in Einsamkeit stattfindet und mich an Zusammenhänge mit den Kunstpsychologie-Lehren von Nancys Schule und dem tierischen Magnetismus von Franz Anton Mesmer (zufällig ein Wiener) erinnert, von dem Schriftsteller wie Balzac, Dickens, E.A.Poe und Browning dazu inspiriert wurden.

Christian Fogarolli – www.fogarolli.eu