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Interview mit Georgia Creimer

Georgia Creimer ist 1964 in São Paulo, Brasilien geboren und dort aufgewachsen. Kurz nach ihrem Kunststudium und ihrer ersten Einzelausstellung in São Paulo ist sie 1986 nach Wien gekommen, wo sie seitdem ihren Lebensmittelpunkt hat. Ihre Arbeit erstreckt sich von Zeichnung, Malerei, Foto, Film und Skulptur bis zur raumgreifenden Installation.

In ihrer Arbeit setzt sich Georgia Creimer mit den Grundsätzen menschlichen wie natürlichen Existierens auseinander. Dabei versteht sie ihr Schaffen nicht als einem speziellen Thema unterstellt, sondern viel eher als eine Auseinandersetzung mit menschlichem ‘Naturempfinden’ überhaupt. So ist dann auch alles was sie produziert als Bearbeitung körperlicher Denk- und Gefühlszustände zu begreifen. Ihre Installationen können als Metapher gelesen werden, welche sich, im Raum verstreut, in der Totalität der Installation wieder potenziell zur Ganzheit eines Organismus zusammenschließt.

georgia creimer interview
On Stones, 2009, Granit-Findling, Aluminiumblech lackiert. Universitäts- und Landesbibkiothek Tirol, Innsbruck / Foto: Günter Richard Wett

Welche Themen interessieren dich als Künstlerin?
Ich orientiere mich in meiner Arbeit nicht an Themen – mein Arbeitsverfahren ist sehr intuitiv. Oft funktioniert es so, dass gewisse Vorbedingungen, die eine bestimmte Situation definieren, mich inspirieren und mir eine Richtung zeigen. Manchmal sind es die Räume in denen ich ausstelle und ihre architektonischen Eigenheiten oder die Geschichte dieser Räume. Manchmal sind es auch Kunst & Bau Aufträge, die von vornherein mit vielen Bedingungen ausgestattet sind. Alles ist Material, alles spielt mit. Immer wiederkehrend in meiner Arbeit zu erkennen sind organische Formen oder zellenartige Gebilde, die Farben Weiß und Schwarz sowie auch der konkave Spiegel, den ich seit vielen Jahren als „Wahrnehmungsapparat“ benutze. Auch natürliche Materialien wie Tierfelle, Pflanzen, Steine oder Urin von Hunden kommen vor.

Die Entstehung einer neuen Arbeit ist bei mir das Resultat einer Erkenntnis, die aus den Arbeiten selbst kommt. Jede Arbeit gebiert viele potenzielle Möglichkeiten, sowie die endlosen formbildenden und selbstgenerierenden Strukturen in der Natur sich mit den künstlerischen Formgenerierungsprozessen vergleichen lassen.

Wie ist der Prozess, wenn du arbeitest?
Sehr unterschiedlich. Ich sehe mich als Künstlerin, als jemand der Kunst übt. Durch das intensive Üben der Kunst erlange ich eine eigene Sensibilität für Dinge, Menschen, die Natur, die Welt. Mein schöpferischer Prozess ist ein empirischer: Ich lerne aus meinen Erfahrungen, Kunst wird dadurch für mich zu einer Art Lebenswissenschaft. Ich versuche, wenn ich arbeite, soviel Raum wie möglich für das Unbewusste zu lassen – ich möchte selbst überrascht werden und auch lernen von dem, was entsteht. Es wäre naiv, zu versuchen die Kunst in eine bestimmte Richtung zu binden oder ihr eine Bedeutung oder Botschaft zuzumessen. In dem Moment, wo die Kunst in Kontakt mit dem Betrachter tritt, ist sie völlig frei und entzieht sich jeglicher möglicher Kontrolle  –  sie wird dadurch zu etwas Größerem, Komplexerem. Der Prozess des Zeichnens beispielsweise ist für mich etwas sehr Persönliches, etwas, was der Körper sehr direkt tut. Seit einigen Jahren arbeite ich an einer Serie von Zeichnungen und Malereien mit dem Titel „Biom“. Ich verwende dafür eine selbst erfundene Technik, die ich „Halbblindes Zeichnen“ nenne. Am Anfang zeichne ich „blind“ auf Papier, um danach bewusst Formen in diesen Zeichnungen zu finden. Es entstehen Form-Elemente oder ganze Formationen, die naturnah und trotzdem künstlich erscheinen. Das Zeichnen mit geschlossenen Augen ist wie eine freie Choreografie der Hand mit dem Bleistift auf dem Papier. Es ist ein physischer Akt und nicht von Absicht gelenkt. Mit den Worten von Patricia Grzonka: Ich liefere mich bewusst / unbewusst einem nur halb steuerbaren oder gesteuerten Prozess aus, durch den ich ein Werk generiere, das mit dem Unbewussten verbunden ist. Wenn ich ein Bild male oder eine Skulptur anfertige, ist für mich immer wichtig, dass diese Dinge quasi lebendig und in ihrer eigenen Gesetzlichkeit Wirklichkeit werden. Diese Lebendigkeit entsteht im Dialog mit dem Betrachtenden und ist das Resultat eines sich Einlassens auf die Begegnung mit der Kunst. Das geht am besten körperlich und weniger mental. Da spielen Begriffe wie „Sensibilität“ oder „somatische Intelligenz“ im Sinne eines körperlichen Spürens eine große Rolle.

Der diskrete Charme des Monströsen, Einzelausstellung / Galerie Rauminhalt_Harald Bichler / 2019
Der diskrete Charme des Monströsen, Einzelausstellung / Galerie Rauminhalt_Harald Bichler / 2019
Brut, temporäre Installation, Kunstraum Weikendorf, 2014 / Gips, Sewakryl, Licht, weisse Dispersion (Raum), 140 x 245 cm / Foto: Günter Richard Wett
Brut, temporäre Installation, Kunstraum Weikendorf, 2014 / Gips, Sewakryl, Licht, weisse Dispersion (Raum), 140 x 245 cm / Foto: Günter Richard Wett

Mit welchen Medien arbeitest du?
Wie oben erwähnt mit unterschiedlichen Medien: Zeichnung, Malerei, Foto, Film, Skulptur und Installation. Oft greifen mehrere dieser Medien ineinander und wirken wie verschiedene Akteure in einer großen Inszenierung.

Wann soll man als Künstler mutiger sein?
Noch mutiger? Ich finde es schon mutig genug, wenn Frau/Mann jahrelang mit großer Intensität und oftmals geringem finanziellen Erfolg arbeitet, ständig das Persönlichste überhaupt zeigt und sich der Kritik aussetzt.

Seit 1986 lebst du schon in Österreich. Wieviel São Paulo steckt noch in dir? 
Eine ganze Menge. São Paulo und Wien, könnte man fast sagen, sind wie zwei unterschiedliche Planeten. Das Leben dort ruft eine/n ständig nach Außen: der Lärm, die auch in der Mega-City präsente wilde Natur, die Extravertiertheit des Geschehens. Das ist wie ein Sog. Als ich nach Wien kam und irgendwann in meinem Atelier saß, ist mir ein Bild der Gegensätze in den Kopf gekommen: ein Atelierraum – als Metapher für einen Denk- und Spürraum – ist in São Paulo wie eine Box im Freien. Ungeschützt und gleichzeitig durchlässig für Kommunikation, eine sehr spannende Situation. In Wien war das Bild ein anderes: die Atelierbox war wie in einer anderen Box drinnen. Vor allem damals, Ende der 80er-Jahre, hatte ich das Gefühl, wenn ich mich im sicheren und aufgeräumten Stadtraum aufhielt, war ich immer noch nicht draußen. Alles hat nach innen gerufen. Das Erleben dieser Gegensätzlichkeit hat mir sehr zu Konzentration und zu Verinnerlichung geholfen – auch heute noch.

Das Erleben dieser Gegensätzlichkeit hat mir sehr zu Konzentration und zu Verinnerlichung geholfen – auch heute noch.

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Psychogenics V, temporäre Installation, Konzilgedächtniskirche, Wien 2019 / Wandmalerei, Bleistift und Acrylfarbe auf polierte Dekorspachtelmasse, ca. 250 x 300 cm / Foto: Günter Richard Wett

Woran arbeitest du gerade? Was werden wir auf der Parallel Vienna zu sehen bekommen? 
Im Moment fokussiere ich mich auf die Arbeit für die Parallel, aber gleichzeitig läuft die Arbeit an einem Kunst & Bau Projekt für eine Schule in München weiter. Bei der Parallel möchte ich gerne „Biom (ascending)“ zeigen. Es ist eine großformatige Zeichnung, die ich mit extrem feinen Buntstiftlinien gemacht habe. Nach Fertigstellung der Arbeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass erst bei längerer und konzentrierter Betrachtung des Bildes die Farben sichtbar werden. Für die Parallel versuche ich eine Situation zu kreieren, die diese Erfahrung ermöglicht und verstärkt. Ich baue diese Arbeit in eine begehbare Raum-Skulptur ein, in welcher beim Eintreten spezielle Bedingungen herrschen. „Biom (ascending)“ hat etwas Meditatives an sich und insofern ist die Verwendung dieser Arbeit auch eine Reaktion auf die alles andere als meditative Messe-Situation und für mich eine spannende Herausforderung.

Georgia Creimer – www.georgiacreimer.com