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Sophie Tiller im Interview

Sophie Tiller (1978) lebt und arbeitet als bildende Künstlerin und Fotografin in Wien. Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Eva Schlegel und Matthias Herrmann in der Klasse für Kunst und Fotografie. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit der Mensch-Natur-Beziehung sowie mit den Themen Zeit, Vergänglichkeit und Transformation auseinander.
Der Parasit, © Sophie Tiller
Der Parasit, © Sophie Tiller

Was inspiriert dich besonders, woher holst du dir deinen Input? Was motiviert dich bei der Arbeit? Wie beschreibst du deine Arbeitsweise?
Ich denke, dass sowohl das kontinuierlich angesammelte Wissen als auch alle Erfahrungen, die man wie einen Rucksack mit sich herumträgt, Einfluss auf meine Arbeiten haben. Die Beschäftigung mit Kunstgeschichte sowie Gespräche und Diskussionen mit BiologInnen sind für mich inspirierend. Am Anfang steht häufig eine Grundidee. Meist wird mir erst im Nachhinein bewusst, welche Themen und Fragestellungen in bestimmte Arbeiten eingeflossen sind. Gerne lasse ich mich deshalb von meiner Intuition leiten und arbeite erst in der Endphase des Entstehungsprozesses die inhaltlichen Ebenen nach und nach auf.

In welcher Technik arbeitest du hauptsächlich?
Ich arbeite vorwiegend mit dem Medium Fotografie. Trotzdem werde ich nur ungern als Fotokünstlerin bezeichnet, da ich das als sehr einschränkend empfinde. Da ich häufig mit lebendigen und daher veränderlichen Objekten arbeite, sind für mich die Medien Fotografie und Video die geeigneten Mittel um den jeweils richtigen Moment im Transformationsprozess zu konservieren. Mittels Fotografie und Video habe ich die Kontrolle über den Bildausschnitt, den Hintergrund und die Beleuchtung und kann so bestimmte Aspekte hervorheben oder in den Hintergrund treten lassen.

Manchmal stelle ich das jeweilige Objekt selbst aus wenn es bereits konserviert ist und sich in keinem Transformationsprozess mehr befindet oder sehr kurzlebig ist. Auch performative und installative Aspekte fließen immer wieder in meine Arbeiten mit ein.

Welche Themen interessieren dich künstlerisch?
Im Mittelpunkt meiner Arbeiten steht die Mensch-Natur-Beziehung. Der Mensch eignet sich die Natur an, die Natur vereinnahmt Kulturgut als Grundlage neuer Transformationsprozesse. Vorgefundene surreal wirkende Szenarien können ebenso die Grundlage meines Arbeitsprozesses bilden, wie geplante Versuchsanordnungen. In meinen Arbeiten beobachte ich das Entstehen und Vergehen, halte Zwischenstadien fest und hinterfrage Ordnungssysteme, die den Wunsch des Menschen nach Kontrolle und Klassifizierung sichtbar machen. Die Natur schafft sich wiederum ihre eigenen Systeme. Was ist planbar, wann kommt es zum Kontrollverlust? Meine Arbeiten handeln vom Überleben der Natur und vom Leben (mit) der Natur. Die Folgen des Klimawandels, des Artensterbens sowie ökologische Katastrophen zeigen uns immer mehr unsere Grenzen auf und lassen uns unsere Abhängigkeit von einer intakten Umwelt spüren. In einigen meiner Arbeiten trifft Künstlichkeit auf domestizierte Natur. Dabei wird Unlebendiges mit Lebendigem vereint, die Grenzen verschwimmen. Was ist ursprünglich natürlich, was durch menschliche Eingriffe über Jahrhunderte optimiert? Was ist Natur?

Welche zwei deiner Kunstwerke sollten wir unseren Lesern zeigen?
Ich möchte hier gerne die Serie Selektion  und mein Langzeitprojekt Der Parasit  vorstellen. In der Arbeit Selektion habe ich Personen eingeladen, sich aus einer privaten Sammlung von präparierten Tieren eines auszusuchen, zu dem sie eine besondere Verbindung spüren, um sich dann vor Ort damit porträtieren zu lassen. Die Porträtierten haben jeweils einen Text zu ihrer Tierauswahl verfasst. Sie wurden in das Habitat der Sammlerin quasi hineingeworfen und mussten sich erst in der neuen Umgebung zurechtfinden. Während des Auswahlprozesses und des Fotografierens habe ich versucht, so wenig wie möglich einzugreifen. Somit ist es auch eine Arbeit über Identität und Selbstdarstellung. Das Tier ist von der Natur geschaffen und wird nach dem Tod menschlichen Vorstellungen entsprechend zum Präparat geformt und somit von seinem Ursprung abstrahiert. Der Mensch macht sich die Natur zu eigen und baut sie nach seinen eigenen Bedürfnissen um. In der Arbeit Der Parasit bepflanze ich Naturkundebücher mit Kapuzinerkresse. Später kommen andere Pflanzen durch Flugsamen hinzu. Die pflanzliche Besiedlung bereitet ein Habitat für die tierische Besiedlung vor. Die „Parasiten“ aus dem Buch erwachen zum Leben, verselbständigen sich – der nicht vorhersehbare Prozess nimmt seinen Lauf. Die Natur nimmt sich das Buch und damit vom Menschen Geschaffenes, formt es und nutzt es als Substrat, als Grundlage neuer Existenz und verwandelt Wissen in Nahrung. Der Parasit / The Parasite (ISBN 978-3-85164-199-8) ist auch als Buch im Album Verlag erschienen. Erhältlich in der Buchhandlung oder unter www.albumverlag.at/shop

Sophie Tiller, Better than Nature
Better than Nature, © Sophie Tiller

Woran arbeitest du gerade?
Zur Zeit arbeite ich an der Serie Better than Nature, in der ich lebendige Pflanzen auf künstlichen Pflanzenimitaten ranken lasse. Es handelt sich dabei nicht um Wildpflanzen sondern um gezüchtete Bohnengewächse, die über Jahrhunderte durch menschliche Eingriffe optimiert wurden. Hier wird also nicht das Künstliche mit dem ursprünglich Natürlichen verbunden sondern es trifft Künstlichkeit auf künstliche, domestizierte Natur. Außerdem konfrontiere ich Insekten, die ja auch beliebte Motive der Stilllebenmalerei sind, mit der Versuchsanordung. Lassen sich die im Terrarium aufgewachsenen Stabheuschrecken täuschen oder wird der Anpassung alles untergeordnet? Auch die vermeintliche Unvergänglichkeit von Plastik ist zu hinterfragen: Kunststoffe zersetzen sich zwar nicht, aber die Farben können verblassen, das Material kann spröde und brüchig werden und die ursprüngliche Form sich dadurch soweit verändern, dass das Bild der Pflanze verschwindet und nur das Plastik bleibt.

Selbstportrait aus der Serie Selektion ©Sophie Tiller
Selbstportrait aus der Serie Selektion © Sophie Tiller

Wo stellst du heuer noch aus? 
Im Moment läuft meine Ausstellung zur gleichnamigen Serie DER PARASIT bis 4. September in der Vinothek im Stift Klosterneuburg, Rathausplatz 24, 3400 Klosterneuburg. Öffnungszeiten: Mo-Fr 10 bis 18 Uhr und Sa und So 10 bis 17 Uhr, feiertags geschlossen.

Im Stift selbst, in der Galerie der Moderne ist unter dem Ausstellungstitel BEGEGNUNGEN UND REFLEXIONEN.BILD UND ABBILD. meine Videoarbeit Tinos Totenhemd zu sehen. Öffnungszeiten: Sommersaison bis 15. November 2022: Samstag, Sonn- und Feiertag 14-17 Uhr

Im Zuge dieser Ausstellung findet am Do 29.09.2022 um 19 Uhr eine Midissage statt. Anmeldung unter kultur@stift-klosterneuburg.at

Im Schloss Wolkersdorf (Galerie 2), läuft die Ausstellung MISSTRAUE DER IDYLLE! in der ich mit einigen Arbeiten vertreten bin. Ausstellungsdauer: 25.06.2022 bis 24.07.2022, Öffnungszeiten: Sa und So 14-18 Uhr und nach persönlicher Vereinbarung.

SCHIELE AWARD: Ausstellung aller ausgewählten Werke. Vernissage: 07.10. 2022, Minoritenkloster der Stadt Tulln. Ausstellungsdauer: 08.10.2022- 11.11.2022: jeweils Do–So von 10 bis 18 Uhr. Finissage: 11.11.2022: Verleihung der 3 Jurypreise und Versteigerung aller noch unverkauften Werke.

Sophie Tiller – www.sophietiller.com, www.instagram.com/sophietiller_artist/