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Über Musik und das Leben

He, nur da (mit du’s weißt): Das Patriarchat ist eine einzige toxische Beziehung! RAHELS neuer Song lädt uns ein, da mal kollektiv drauf zu pfeifen und liefert gleich den passenden Ohrwurm: Mit einer Prise Dada, einer guten Portion Neue Neue Deutsche Welle und so viel spitzzüngigem Wortwitz, dass sich selbst der ‚wokeste Feminist‘ an seinem Diet Coke verschlucken müsste.
Foto: Gwen Meta
Foto: Gwen Meta

Der verspielte 80er-Flair schließt an Singles wie ‚Nur eine Phase‘ an, verzerrte Gitarren setzen die musikalische Entwicklung Richtung Band-Sound fort. RAHEL, gerade für einen Amadeus Music Award nominiert und mit ihrem vorletzten Release für mehrere Wochen in den FM4 Charts, veröffentlicht mit ‚He nur da’ ihr bislang angriffigstes Stück Musik. Der Song erscheint zusammen mit ihrer zweiten EP ‚Ein sehr schöner Witz’. Darin balanciert RAHEL zwischen New Wave und Dreampop, Adulthood und Rauschzuständen. In ‚Polly Hütchen’, einer von zwei neuen Nummern, träumt sie sich an einen Ort in weiter Ferne. Dort angelangt, empfängt sie die Ernüchterung. Das ist jedoch kein Grund zur Verzweiflung, sondern gibt ihr den Impuls, die Welt als das zu benennen, was sie höchstwahrscheinlich ist: Ein ziemlich absurder Einfall – ein sehr schöner Witz! In diesem Jahr wird RAHEL für die Hamburger Schule Band ‚Die Sterne’ eröffnen und Kooperationen mit anderen Musiker*innen ankündigen – 2023 ist sie endgültig in der deutschsprachigen Musikszene angekommen.

Was dich dazu inspiriert hat, Musikerin zu werden?
Ich wollt immer irgendwas Kreatives machen. Was das am Ende des Tages dann genau sein würde, das hab’ ich nicht gewusst. Das hat mich lange Zeit sehr wahnsinnig gemacht. Ich erinnere mich daran, mit 18 durch die Stadt gegangen zu sein und mir alle Orte genau angeschaut zu haben. Ich bin an einem Atelier vorbei gegangen, an einem Vintage-Geschäft, einem Theaterhaus, einem Kino und einem Stoffladen. Immer habe ich gedacht: Das muss toll sein. Kleider nähen. Oder: Das muss toll sein: Bilder malen. Oder: Objekte erfinden oder eben irgendwas Komisches auf einer Bühne machen. Danach hab ich mir Oh boy angesehen, mit Tom Schilling in der Hauptrolle und habe mich tragisch gefühlt. Das mag man sich jetzt vielleicht romantisch vorstellen. Mein Flanieren, so jung und vor allem Anfang. War es auch, aber auch Pain in the ass. Und ich selbst war auch ein Pain in the ass. Weil ich hab gefunden, wenn ich jetzt nicht sofort an irgendeinem richtig guten, utopischen, kreativen Ort ankomme, dann muss ich kotzen oder vielleicht sogar, wer weiß: Ja, sterben. Jetzt, wo ich diese Musik gefunden habe, ist es zum ersten Mal irgendwie gemütlich in mir. Und das ist ein bissi ein Gruselgefühl.

Wie hat sich dein musikalischer Stil entwickelt und welche Einflüsse haben dazu beigetragen?
Ohne den Raphael Krenn würde ich musikalisch nicht in dieser Form existieren. Der Raphi ist nicht nur ein unglaublicher Produzent, sondern kann jedes Instrument. Wir haben sehr viel voneinander gelernt, glaub ich. Ich jedenfalls von ihm. Zum Beispiel, dass man sich für den Pop nicht genieren muss und es auch etwas Elitäres ist, keinen Pop machen zu wollen, sondern irgendwas, was nur den Intellektuellen gefällt. Weil es eine Lüge ist: Alle Intellektuellen lieben Pop. Erst letztens hab’ ich auf einer 80er und 90er Party vier Stunden zu den besten Hits von damals getanzt und mir dabei gedacht: Wer würde es nicht lieben? Einflüsse waren NDW Bands wie Ideal, die Nena, Nina Hagen; weibliche Künstlerinnen, die dem Patriarchat den Mittelfinger zeig(t)en. Auch wenn Nena leider ein bissi verwirrt scheint, dieser Tage. So Interviewfragen zu beantworten, ist lustig, denn es ist auch das eine große Lüge. Weil in seinem Hirn kuratiert man natürlich alles, was man sagt. Aber ich versuche jetzt ein bisschen mit dem Lügen aufzuhören: Mit sechs Jahren war eines meiner größten Vorbilder, wer hätte es nicht geahnt: Christl Stürmer. Vielleicht hat auch sie mich indirekt zu dieser Musik inspiriert, wer weiß. Ansonsten natürlich Hamburger Schule Bands. Leider sind viele von ihnen nur männlich. Aber trotzdem Legenden. Wir spielen bald mit den Sternen, darauf freue ich mich sehr. Die Band Men I Trust hat Raphi und mich beide inspiriert und ich erinnere mich auch an eine Zeit, in der wir fast täglich das Lied “Under your Spell“ der Band Desire gehört haben. Und dann waren noch 10 000 andere Sachen ur wichtig, aber es würde den Rahmen sprengen.

RAHEL she/her Musiker/in/Band
Foto: Merve Ceylan

Mit wem tauschst du dich üblicherweise über deine Songtexte aus?
Mit dem Raphi natürlich am Allermeisten. Praktischerweise wohnt in unserem Studio auch noch Raphis Freundin Helene (Sorgner). Das heißt, wir wohnen mit unserem Studio in ihrer und Raphis Wohnung. Das heißt, eigentlich sitzen Raphi und ich in Raphi und Helenes Wohnzimmer, wenn wir die Musik machen. Das hat den großen Vorteil, dass die Helene dann manchmal anklopft und uns eine Suppe hinein bringt. Und wenn ich gerade bei einer Zeile hing, so half sie mir schon öfter und sei es nur dabei, nicht den Verstand zu verlieren. Mittlerweile versuche ich es alleine zu machen (das Schreiben) aber gerade am Anfang war die Helene sehr wichtig. Ich war nur immer zu eitel, um es zu sagen. Es musste der Christian (Hummer) sterben, damit ich es zugebe. Auch er hat manche Zeilen beigesteuert. Ich war aber immer schon sehr streng und sonderbar in dieser Hinsicht und habe am Ende dann fast immer meine eigenen Zeilen genommen. Es ist aber natürlich ein sehr großer Luxus, wenn einem eine kluge Person gegenübersitzt, der man seine Gedanken sagen kann. Ohne die Helene und den Christian hätte das Projekt nie so sein können, wie es jetzt ist. Die Helene macht von Luftballons aufhängen auf Konzertfesten bis hin zu Pressetexte schreiben und Suppe kochen noch viele andere wundersame Dinge wie zum Beispiel in unserer Band Keyboard spielen (Alicia Helene Keys). Und der Christian hat immer an uns geglaubt. Ich glaub auch noch immer an ihn und dass er lebt, glaube ich auch noch immer und werde nie damit aufhören.

Was bedeutet Freiheit für dich?
Mit dem Raphi in Raphi und Helenes Zimmer sitzen und Musik machen.

Wie sieht dein kreativer Prozess aus, wenn du Musik schreibst und aufnimmst?
Also der kreative Prozess ist ja eigentlich fast ständig am passieren. Ich tippe meistens so Sachen in mein Handy. Großteils, um keine Panikattacken zu bekommen. Zum Beispiel am Heimweg nach einer Party. Meistens schreib’ ich in der Nacht und das manchmal auch so bis um sechs (in der Früh). Weil die Welt ist speziell dann. Die Luft und die Geräusche. Ich mag das gern, wenn alles so ein bisschen verdreht ist, die Sinneseindrücke vor allem und nur die Katze mit mir wach ist. Und in der Nacht, das wusste ja schon der umstrittene Nietzsche, ist man irgendwie ziemlich verwirrt und auch irgendwie klar und nackt, vor sich selbst. Das ist aber nur die erste Phase, für die braucht es keine Ausdauer, sondern sie gibt einem die Ausdauer, damit man sehr gerne weiterleben will. Das ist natürlich sehr pathetisch, aber im Endeffekt ist es so wie, wenn eine Sportlerin Sport macht, damit sie nicht wahnsinnig wird. Ja und dann beginnt der Feile- und Überarbeitungsprozess und der ist, man kann es nicht anders sagen: Zach. Ich hasse ihn, aber er macht stolz, wenn man ihn schafft. Und vor allem beginnt für mich in dieser zweiten Phase dann auch die Arbeit mit dem Raphi. Und das wiederum finde ich schon sehr gut.

Was machst nach einem Auftritt und welche Rituale pflegst du dabei?
Eine ur schöne Frage! Nach einem Auftritt geh ich entweder sehr beseelt von der Bühne oder wünsch mich sehr weit weg, an einen Ort in Südostasien, vor ein Gehege, in dem Babytiere wohnen. Es ist eigentlich fast immer das Eine oder das Andere. Wenn es das Andere ist, dann versuche ich, mich nicht gleich unter das Volk zu mischen und ein bisschen runterzukommen. Das ist eher schwierig, dieses Übergehen zum Normalen. Und man muss sich als Gast manchmal damit zufriedengeben, dass ich mitunter besonders sonderbar wirke. Ich meine das aber nicht arrogant, das Sonderbar-Sein, sondern ich bin dann einfach etwas neben mir. Das vergeht aber dann bald. Beziehungsweise nie.

RAHEL she/her Musiker/in/Band
Foto: Merve Ceylan

Welche Pläne hast du für die Zukunft und was können wir von dir in nächster Zeit erwarten?
Am liebsten mag ich noch ganz lang so weitermachen dürfen und im besten Fall größer werden, vor allem innen. Ich kann es mir nicht vorstellen, nicht kreativ zu sein, weil es ist einfach arg erfüllend. Ich würde es niemals freiwillig eintauschen wollen. Außer vielleicht gegen Brausezuckerl. Am Anfang wollte ich irgendwie alles auf einmal und das war zu viel für mich und die Welt. Mittlerweile mag ich eigentlich einfach genau das, was ich hab. Und ich will mit vielen schönen Menschen kooperieren, weiterhin. Die auch viele schöne Ideen haben. Oft hängt das ja zusammen. Man kann viele zukünftige Lieder von mir erwarten. Und coole Sachen. Und hoffentlich mehr aktivistische. Ich fühl mich grade ziemlich gut. Danke für die Fragen!

Live:
25.3.2023: Rhiz Wien
18.3. 2023: Arge Salzburg, Support für Die Sterne

PS: Ich bin für einen Amadeus nominiert und freue mich ur über alle, die für mich voten.

RAHEL – www.instagram.com/radikalrahel/