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Die Abtreibung des Krieges

Mein Name ist Georgij Melnikov. Ich bin in Moskau geboren und mit fünf Jahren mit meinen Eltern nach Wien gezogen. Ich habe zwei Mal bewusst entschieden nicht zurückzugehen (...)
Georgij Melnikov Parallel vienna 2022

Die Abtreibung des Krieges. Die Arbeit ist meine persönliche Beschäftigung mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, meinen Erlebnissen im Jahr 2022, meiner Identität, dem Ort Semmelweißklinik und meiner Beziehung zu Russland.

Ich wünschte, Krieg wäre ein Relikt aus vergangenen Zeiten, aber im Jetzt ist dies nur Wunschdenken.
Krieg ist keine Naturgewalt, sondern eine kollektive Entscheidung. Wir tragen die Verantwortung dafür. Im Krieg gibt es keine Gewinner. Alle sind Verlierer.
Aber am Ende gibt es eine Partei, die etwas weniger verloren hat.
Die Skulptur, welche aus der Wand ragt, trägt den Titel „Salomos Urteil 2022“ und bildet das zentrale Stück der Ausstellung.

Georgij Melnikov Parallel vienna 2022

Die Tapete auf den Wänden ist eine Collage, bestehend aus einem Foto der großen russischen Militärparade im Mai 2022, dem Hasen aus „Nu Pogodi“, einem Presse-Foto von einem Raketeneinschlag in der Wand eines ukrainischen Kindergartens und einem Presse-Foto zerstörter russischer Panzer in der Ukraine.

Der Soundtrack im Raum ist ein Remix des Titel Songs von „Nu Pogodi“, mit Audiosamples von marschierenden Soldaten und dem berühmt gewordenen Funk-Austausch zwischen einem Russischen Kriegsschiff und den Ukrainischen Grenzbeamten auf der Schlangeninsel am Anfang des Krieges. 
Hier spricht das Russische Kriegsschiff, legen Sie Ihre Waffen nieder und ergeben sie sich, sonst Eröffnen wir das Feuer“ – Antwort: „Russisches Kriegsschiff verpiss dich!

Die Keramik Objekte heißen „Wolfsfüße“. Sie sind eine Abstrahierung einer Luftabwehr Rakete und des Wolf Charakters von „Nu Pogodi“.

Das Gelb steht für das Eigelb.

Die Abtreibung des Krieges.
Krieg und Ich. Mein Name ist Georgij Melnikov. Ich bin in Moskau geboren und mit fünf Jahren mit meinen Eltern nach Wien gezogen.

Ich habe zwei Mal bewusst entschieden nicht zurückzugehen. Das erste Mal mit 11 Jahren, als mein Vater zurückging und das zweite Mal mit 18 Jahren, als ich meine russische Staatsbürgerschaft abgegeben und die Österreichische beantragt habe.

So entfernte sich mein Geburtsland immer weiter von mir und es störte mich nicht. Ich spreche die russische Sprache immer noch fließend – das ist mir wichtig. Dies und der Teil meiner Familie, die dort leben, blieben die direkte Verbindung zum Land und indirekt die vielen russisch sprachigen Freunde*innen hier.

Allerdings waren sie aus allen Ecken und Enden des Post Sowjet Raums und gerade das fand ich auch immer toll; wie ein Schlüssel zu vielen Communities, die mir sonst verschlossen geblieben wären. Durch meine Freunde*innen bekam ich auch mit, was dort so Thema war, wo ich herkam. Aber schlussendlich dachte ich immer, für mich ist das keine Gegenwart mehr, ich lebe hier, warum sollte ich mich damit beschäftigen?! es berührte mich nicht mehr.

Es war auch schön, ab und zu aus sicherer Entfernung einzutauchen, mit Büchern, mit alten Filmen, mit der Musik der 90ziger, der russischen Seele, als ob man Märchen liest… Aber nicht wirklich in die Politik, das Leben, das was jetzt dort passiert; ich dachte, ich habe sowieso keinen Einfluss darauf und ich habe nicht vor zurückzugehen, es war eh immer brutal dort, aber das ist nicht so schlimm, vielleicht sogar cool…und was geht mich das als Landesverräter überhaupt an?!

Georgij Melnikov Parallel vienna 2022

Ich las Bücher auf Russisch, zum Beispiel Sergej Dovlatov, der wie viele andere die absurd tragische Ära des Kommunismus beschrieb und für mich schien das Geschichte zu sein. Als ich klein, war wurde ab und zu gesagt: „Wer weiß wie lange die Grenzen noch offen bleiben?!“ Auch das konnte ich mir nicht so richtig vorstellen.
Meine Geburt 1988 läutete schließlich das Ende der Sowjetunion, der geschlossenen Grenzen, des Sozialrealismus und des KGB`s ein.
Die Gesellschaft hat `das große Experiment` gemacht, aber wir leben in einer neuen Zeit und wir haben aus den alten Fehlern gelernt, das schien doch offensichtlich.

Ich fand sie schon immer falsch, diese übertriebene Wichtigkeit der Geheimdienste, Polizisten und Militärs; oder dass Ihre Zwecke alle Mittel heiligen, während alle anderen Menschen für ihre oder fremde Verbrechen hart bestraft werden. Das erschien mir grundlegend ungerecht. Mehr noch: ihr Ziel, alles zu kontrollieren, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt! Der Preis, den sie in fremdem Blut und Tränen bereit waren zu zahlen, könnte locker das Tote Meer, den Aral See und den Baikal See, füllen.

Die „Siloviki“, so werden sie in Russland genannt, kamen nach den wilden 90zigern wieder an die Macht, um Ordnung `herzustellen`- der Preis für die Sicherheit, war nur ein klein wenig mehr Kontrolle, ein Tropfen weniger Selbstbestimmung, ganz harmlos am Anfang… Ich mochte sie nie, aber was konnte ich tun? – ich lebe hier, ich kann dort nicht einmal wählen.

Dennoch konnte ich nicht ganz wegschauen. Also bekam ich mit, wie Sie Schritt für Schritt die freien Medien und die Opposition vernichteten, Propaganda zum Alltag wurde, die Gerichte zur Farce und die Gesellschaft geteilt in unantastbare Eliten und das rechtlose Volk. Die Exekutive wurde mit der Zeit wieder allmächtig und ganz im Zentrum einer Partei des `Vereinten Russlands`.

Es wurde wieder mehr von den Feinden Russlands geredet. Diese Feinde waren überall, in Washington, Berlin oder in Novosibirsk.
Mal hatten sie eine Pride-flag auf dem T-Shirt und waren auf Kinderjagd, mal im Anzug am Spionieren und Sabotieren oder auch bärtige Fundamentalisten mit großen Nasen. Es gab zwar die weißen slawischen Brüdervölker, aber sie waren insgeheim auch neidisch. Und vergessen wir mal nicht die Juden, die den Russen Böses wollen… ist doch klar.

So wurden es immer mehr Feinde. Auch aus der Vergangenheit tauchten die Feinde wieder auf. Sie waren ja schon immer da, die Feinde Russlands, nur in Schach gehalten durch die Kraft großer Führer wie Stalin. Auf einmal war auch er rehabilitiert, kein Tyrann mehr, sondern ein intelligenter Manager mit frischen Blumen auf seinem Ehrengrab.

Aber was ging mich das alles überhaupt an? es war ja nicht mehr mein Land. Ich war schon weg, nur der Geburtsort in meinem neuen Pass verrät meine Herkunft.

Klar gibt es Hardliner, aber die meisten sind doch mittlerweile im 21.Jahrhundert angekommen. Es gibt Bitcoin und Ethereum, AI und Instagram. In Russland gibt es wohl keine `Pride` mehr und die Gefühle der Gläubigen dürfen nicht beleidigt werden, aber das hatte mich nichts anzugehen…

Die Krim gehört zu Russland und Russland passt auf die Minderheiten im Kaukasus auf. Es muss ein Gegengewicht zur amerikanischen Hegemonie geben und wenn man zurück geht in die Geschichte, wird ganz klar, wo Russland anfängt und wo es aufhört.

Da gibt es Geopolitik, nichts ist eindeutig im großen Spiel der Supermächte. Und ist es nicht gut, dass es mehr als nur ein Imperium gibt?!?

Auf dem freien Markt der Imperialisten soll der Beste gewinnen und ganz wichtig ist der Wettbewerb – geht’s der Wirtschaft gut geht’s uns allen gut!

Russland würde nie einen Krieg beginnen, nur sich und die eigenen Leute gegen die Feinde verteidigen. Ja, es gab da diese Sache in Georgien und Tschetschenien, aber das war nur zum Schutz der Bevölkerung vor Ort… und natürlich musste Russland Assad unterstützen, sonst wären wir schon längst im Kalifat… und ja, im Donbass gibt es wohl ein paar Waffenlieferungen, aber das kann man jetzt nicht vergleichen mit dem, was der Westen schon alles an Kriegen geführt hatte…
Und am Ende: was geht mich das alles eigentlich an? – ich bin so lange hier und nicht mehr dort…

Alle reden von diesem Militärmanöver, aber das ist doch auf russischem Territorium. Ja, es gibt halt die Grenze zur Ukraine, aber es wäre doch vollkommen absurd die Armee dorthin zu schicken, das wären doch die eigenen Leute, ein slawisches Brudervolk, allein die Vorstellung ist verrückt, sagt der Nachrichtensprecher im russischen Fernsehen…

– das geht mich natürlich auch nichts an, aber diese Hysterie ist wirklich anstrengend!

Georgij Melnikov Parallel vienna 2022

22.02.2022 wird nach der Entscheidung von Vladimir Putin, in einer nächtlichen Sondersitzung der DUMA, beschlossen, die selbsternannten „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine DNR und LDR als unabhängige Staaten anzuerkennen.

24.02.2022 schlagen in der gesamten Ukraine russische Raketen ein. Die russische Armee greift von drei Richtungen an. Der Krieg hat begonnen.

Ich bin hier, aber ab diesem Moment konnte ich nicht mehr sagen, das geht mich doch nichts an. Ich fühlte den Schmerz und sah die Realität. Welche mir vielleicht schon früher bewusst war, aber nie so unerbittlich klar.
20 Jahre autokratische Herrschaft der Siloviki mündete in einen weiteren sinnlosen mörderischen Krieg. Und der totalen Aufgabe der Freiheit in Russland.
Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit. Doch die wurde schon viel früher geopfert, eingetauscht in eine paranoide Märchenwelt mit viel Pathos.

Märchen und Legenden, sagte meine Oma, waren schon immer ein wichtiger Teil der russischen Kultur.

Nu Pogodi („Na warte!“)
Hase und Wolf (Originaltitel: „Nu, pogodi!“; russisch Ну, погоди!, übersetzt „Na, warte!“) ist eine sowjetische, beziehungsweise russische Zeichentrickserie, in welcher ein Wolf einen Hasen verfolgt.
Die ersten 16 Folgen entstanden von 1969 bis 1986, weitere vier Folgen 1993, 1995 und 2005.

Jede Folge handelt davon, wie der Wolf versucht, den Hasen zu fangen. Das Konzept ähnelt diesbezüglich den amerikanischen Serien `Road Runner`,`Wile E.Coyote` und `Tom & Jerry`. Die Jagd endet immer damit, daß der Wolf verliert und mit drohender Geste dem Hasen hinterher ruft: „Nu sajaz, nu pogodi!“ (russisch Ну заяц, ну погоди!; „Du Hase, na warte!“).

Die Gestaltung der Figuren und Szenen weist Bezüge zum Leben in der Sowjetunion auf. Der Regisseur wird dahingehend zitiert, dass ihm der Entwurf des Wolfes erst gelungen sei, als er an einer Moskauer Metrostation ein „menschliches Vorbild“ erblickt habe. Im Laufe der Jahre passte sich der Wolf den in der jeweiligen Zeit auffälligsten Typen an. Der Hase blieb äußerlich relativ unverändert.

Der Wolf (russ. Волк, Wolk) wird als ein typischer Hooligan dargestellt. Er ist gelegentlich Raucher. Der Wolf ist ein Vandale, der gerne Mülltonnen umwirft, seinen Abfall auf die Straße wirft und die Gesetze missachtet. Vorbeikommende Milizionäre grüßt er allerdings stets freundlich, um unverdächtig zu wirken. Der Wolf ist ein vom Westen geprägter Rebell und daher grundlegend verdorben.

Der Hase (russ. Заяц, Sajaz) ist durchweg positiv dargestellt. Seine geschlechtliche Zugehörigkeit ist, im Gegensatz zum maskulinen Wolf, eher diffus – was auch an seinen weiblichen Zügen und einer eher weiblichen Stimme liegt.
Der Hase ist der/die brave Sowjetische Bürger*in, moralisch dem Wolf überlegen und systemkonform, ein Vorbild für die Jugend.

Das Urteil des Königs Salomo
Die eine Frau sagte: „Bitte, Herr, diese Frau und ich wohnen im gleichen Haus, und ich habe dort in ihrem Beisein ein Kind geboren. Am dritten Tag nach meiner Niederkunft gebar auch diese Frau. Wir waren beisammen, kein Fremder war bei uns im Haus, nur wir beide waren dort. Nun starb der Sohn dieser Frau während der Nacht, denn sie hatte ihn im Schlaf erdrückt. Sie stand mitten in der Nacht auf, nahm mir mein Kind weg, während deine Magd schlief, und legte es an ihre Seite. Ihr totes Kind aber legte sie an meine Seite. Als ich am Morgen aufstand, um mein Kind zu stillen, war es tot. Als ich es aber am Morgen genau ansah, war es nicht das Kind, das ich geboren hatte.“

Da rief die andere Frau: „Nein, mein Kind lebt, und dein Kind ist tot.“
Doch die erste entgegnete: „Nein, dein Kind ist tot, und mein Kind lebt.“
Man brachte es vor den König. So stritten sie vor dem König.

Da begann der König: „Diese sagt: ‚Mein Kind lebt, und dein Kind ist tot!‘‘ und jene sagt: ‚Nein, dein Kind ist tot, und mein Kind lebt.‘“ Und der König fuhr fort: „Holt mir ein Schwert!“ Nun entschied er: „Schneidet das lebende Kind entzwei, und gebt eine Hälfte der einen und eine Hälfte der anderen!“

Doch da bat die eigentliche Mutter des Kindes den König – es regte sich ihre mütterliche Liebe zu ihrem Kind: „Bitte, Herr, gebt ihr das lebende Kind, und tötet es nicht!“ Doch die andere rief: „Es soll weder mir noch ihr gehören. Zerteilt es!“
Da befahl der König: „Gebt der Ersten das lebende Kind, und tötet es nicht; denn sie ist die wahre Mutter.“

Zauber Ei.
Die energetische Heilung mit Eiern wurde von unterschiedlichsten Kulturen in allen Ecken unseres Planeten praktiziert; in Mexiko wird es zum Beispiel `Limpia` genannt, in Russland `das Ausrollen mit dem Ei`. In beiden Fällen werden durch diese Praktik Flüche aufgehoben, energetisches Ungleichgewicht und teilweise Erkrankungen behandelt. Dabei steht das Ei in Mexiko für den unerfüllten Traum. Daher kann es, so glaubt man, Dinge, die man verschwinden lassen möchte, in die Nicht-Erfüllung mitnehmen.

Georgij Melinkov. Artist Statement @ Parallel Vienna 2022

Georgij Melinkov – www.instagram.com/georgij_melnikov/