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Ausstellungsansicht Formen des Ungehorsams, Cornelia Herfurtner, Kunstpavillon 2024. Für das Foto: WEST. Fotostudio
Ausstellungsansicht Formen des Ungehorsams, Cornelia Herfurtner, Kunstpavillon 2024. Für das Foto: WEST. Fotostudio

Anhand von Holzreliefs und komplexer mehrteiliger Installationen arbeitet die Berliner Bildhauerin zur Geschichte und Gegenwart der Versammlungsfreiheit und zivilem Ungehorsam und zeigt Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen 2021 und 2024.

Protest hat Risiken und Nebenwirkungen, weil Kapitalismus, Erwartungshorizont und die Vorstellung, es gäbe etwas, das alle wollen und das für alle gut ist, eben nicht so einfach funktionieren. Und genau wegen dieser Ambivalenzen der Demokratie bleibt Protest so unentbehrlich.¹ – Yasmin M‘ Barek

Der Philosoph John Rawls definiert zivilen Ungehorsam als eine gewaltlose, aber gesetzeswidrige, politische Handlung, die im öffentlichen Raum stattfindet und auf Gesetzesmissstände oder als falsch erachtete Regierungspolitik aufmerksam machen will.² Des Weiteren drückt der zivile Ungehorsam „gewissenhafte und tiefe Überzeugungen aus; er kann warnen und mahnen, aber er droht nicht.“ ³

So wie sich die beiden Hauptthemen Protest und ziviler Ungehorsam in der Arbeit von Cornelia Herfurtner vorwiegend im öffentlichen Raum abspielen, sind die Reliefs als zentrales Medium ihrer künstlerischen Arbeit eine Kunstform des öffentlichen Raums. Das figurative Relief war und ist heute noch oft an Versammlungsorten des religiösen (Kirchen, o.Ä.) oder bürgerlichen (Rathäuser, o.Ä.) Lebens anzutreffen. Den einzelnen Holzreliefs vorausgeht eine intensive Auseinandersetzung der Künstlerin mit der Kriminalisierung der passiven Bewaffnung nach §17a des Deutschen Versammlungsgesetzes:

§ 17a (1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.

(2) Es ist auch verboten, 1. an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen.

2. bei derartigen Veranstaltungen oder auf dem Weg dorthin Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.

(3) Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn es sich um Veranstaltungen im Sinne des § 17 handelt. Die zuständige Behörde kann weitere Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 2 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist.

(4) Die zuständige Behörde kann zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 Anordnungen treffen. Sie kann insbesondere Personen, die diesen Verboten zuwiderhandeln, von der Veranstaltung ausschließen.

„… Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet …“ sind, sind ebenjene Objekte, für die sich Herfurtner interessiert. Laut Duden ist eine Schutzwaffe jener Teil der Kampfausrüstung, der der Bedeckung und dem Schutz des Körpers oder des Kopfes dient. Das online Wörterbuch ergänzt unter der Rubrik Gebrauch „besonders früher“4. Die deutsche Exekutive und Judikative hingegen zeugen von einem breiter gefächerten Begriffsverständnis einer solchen „Schutzwaffe“. Jeglicher Gegenstand, der zum persönlichen Schutz vor körperlicher Gewalt sowie Identifizierung auf Demonstrationen beitragen könnte, kann zu einer Waffe umgedeutet werden. Auf einer Metaebene eröffnen sich hierbei Fragen nach der Bedeutung von Identität und Erkennungsmerkmalen in Relation zu einem Überwachungsstaat und den Identitäten, die dieser konstruiert.

Installationsansicht Cornelia Herfurnter, Schild des Schutzes (Smash Capitalism), Lindenholz,  50 x 70 cm, 2021, für das Foto: WEST. Fotostudio
Installationsansicht Cornelia Herfurnter, Schild des Schutzes (Smash Capitalism), Lindenholz, 50 x 70 cm, 2021, für das Foto: WEST. Fotostudio

„Ohne, dass das Wetter dazu Anlass gegeben hätte“

Die Serie Schilder des Schutzes bilden verschiedenste Objekte und Gegenstände ab, die nicht per se kriminell sind oder überhaupt mit einer kriminellen Handlung assoziiert werden, deren Funktion als Schutzwaffe allerdings vor Gericht verhandelt worden sind: Schwimmbrille, Regenschirm, Mützen und Schals, vor allem in Kombination mit einer Sonnenbrille,… Der Titel der Arbeit Schild des Schutzes („Ohne, dass das Wetter dazu Anlass gegeben hätte“) (#13) ist ein Zitat aus solch einem Gerichtsprozess, bei dem der „Waffenstatus“ eines Regenschirms verhandelt wurde. (Am Ende wurde der Regenschirm übrigens als Schutzwaffe deklariert, da das Wetter laut Gericht am Tag der Demonstration nicht nach einem Regenschirm verlangte.) Als Stillleben arrangiert und konstruiert, wirken die einzelnen Werke wie Einblicke in theatralische Szenen und gehen über eine einfache Illustration der dargestellten Gegenstände weit hinaus. Als Bezug dienen Herfurtner Fotografien, die teilweise von der Polizei selbst veröffentlicht und von ihr collagiert wurden. Die fotografischen Aspekte der Reliefs verleihen ihnen etwas Zeitgenössisches. Das Verwenden von Polizeifotos verweist auf eine Kritik von bürgerrechtlichen Initiativen an dieser PR der Exekutivgewalt, die einen polizeilichen Blickwinkel, der stark inszeniert ist und zur Instrumentalisierung missbraucht werden kann, verbreitet. Die geschnitzten Schilder befinden sich in/an einem unter Spannung stehenden Gerüst, das sich selbst aussteift. Durch die Positionierung sind die einzelnen Reliefs von allen Seiten sichtbar und ermöglichen von jedem Standpunkt aus, unterschiedliche Blickwinkel auf die einzelnen Reliefs. Darüber hinaus erlaubt die Installation im Raum ein körperliches Gegenüberstehen mit den Schildern und erzeugt dadurch einen Moment, der den Schildcharakter der Reliefs aufscheinen lässt. Die mintgrüne Farbe der Holzbalken dokumentiert die Expansion und Kontinuität der Installation. Genauso wie das Gerüst zeugt auch der Titel der Ausstellung von der Weiterentwicklung der künstlerischen Arbeit von Cornelia Herfurtner. Formen des Ungehorsams möchte nicht erneut die Repression in den Mittelpunkt stellen, sondern sich davon ausgehend zu den ungehorsamen Praxen fortentwickeln: aus passiv wird aktiv. Angelehnt ist der Titel unweigerlich an das Wording des „zivilen Ungehorsams“ der Begriff „Form“ hat für Herfurtner als Bildhauerin eine doppelte Bedeutung, meint aber auch „Formen“ als „Praxen“. Praxen des Protests, die international viele unterschiedliche Formen annehmen können. Wie unterschiedlich sich Formen des Protestes und Widerstand international äußern, hat Herfurtner, die in der BRD selbst organisiert ist, unter anderem auch in New York City erlebt. Ihr Forschungsaufenthalt 2020 wurde dort von den Black-Lives Matter Protesten gegen Polizeigewalt und die Ermordung von Schwarzen, Indigenen und People of Color, die zu jener Zeit auch als direkte Reaktion auf den Tod von George Floyd stattfanden, geprägt. In New York entstand eine Serie von Griffen (New Yorker Griffe 4 – #17a, New Yorker Griffe 3 – #17b, New Yorker Griffe 1 – #17c, New Yorker Griffe 5 – #17d) in jener Form, die im Galerieraum im vorderen Seitenraum zu sehen sind. Die ersten Griffe entstanden noch als Schnitzvorlagen für die Reliefarbeiten.

Diese Assemblagen, die als Vorlagen dienten, waren am Ende für die Künstlerin interessanter und wurden zu einer eigenen Serie, für die das Sammeln von Müll zur künstlerischen Praxis erklärt wird. In der Serie Griffe werden nicht mehr dezidiert als Schutzwaffen deklarierte Gegenstände verwendet. Da aber beim Verlassen von Demonstrationen, Gegenstände, die als solche gedeutet werden könnten, oft am Ort des Protestes zurückgelassen bzw. weggeworfen werden, um im Falle einer Kontrolle keine belastenden Objekte (oder jene, die als solche interpretiert werden könnten) bei sich zu haben, hat auch dieses Sammeln von Müll und dessen Montage als Griffe (wie bei einem Schild) einen direkten Bezug zur Protestkultur. Gleichsam das in der Ecke drapierte Stroh, das in ländlicheren Regionen regelmäßig bei Demonstrationen zum Einsatz, als mit strohgefülltem Kartoffelsack-Kissen kommt, die sowohl vor Schlägen polstern, als auch vor Nässe schützen. Wenngleich der Künstlerin kein Gerichtsverfahren, bei dem Stroh als „passive Waffe“ diskutiert wurde, bekannt ist, bezieht sie sich auf die Beschlagnahmung von Stroh von der Polizei bei Protesten von Ende Gelände im Rheinland. Der Aluminiumguss, Schild des Schutzes (Hoodie) (#1), eines im Ausstellungsraum präsentierten Holzreliefs, wurde in logischer Konsequenz von der Künstlerin als Objekt für den öffentlichen Raum konzipiert; jenem Ort, an dem Protest und ziviler Ungehorsam ihren Ursprung haben.

Ausstellung: Cornelia Herfurtner – Formen des Ungehorsams
Artist Talk mit Cornelia Herfurtner & Bettina Siegele: 21.03.2024, 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 09.02. – 04.05.2024

Adresse und Kontakt:
Künstler:innen Vereinigung Tirol*
Kunstpavillon
Rennweg 8a
A-6020 Innsbruck
www.kuveti.at


¹ Yasmine M’Barek, Protest: Über Wirksamkeit und Risiko des zivilen Ungehorsams (Graz: Leykam, 2023), 85.
² John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, übers. von Hermann Vetter, 23. Auflage, Suhrkamp-Taschenbuch-Wissenschaft 271 (Frankfurt am Main, 2021), 401.
³ ebd., 403.

Exhibition view, Kunstraum Innsbruck 2021, Photo: Daniel Jarosch.

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