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Interview. Olivia Axel Scheucher

Olivia Axel Scheucher ist Regisseur:in und Performer:in aus Wien und hat Regie am Max Reinhardt Seminar studiert. Deren Arbeiten beschäftigen sich aus einer queer-feministischen Perspektive mit dem Körper und unterschiedlichen Ausprägungen von Gewalt. Dafür wählt Scheucher sprachliche, choreografische und performative Mittel.
olivia axel scheucher volkstheater wien

„Alles entwickelte sich organisch“ – so beschreibt Olivia Axel Scheucher den Probenprozess für „DIE WAND // WANDBEFALL“, deren Neuinszenierung von Elfriede Jelineks Dramolett „Der Tod und das Mädchen (Die Wand)“ im Volkstheater Wien. Anlässlich der Premiere am 17. November 2023 trafen wir Scheucher zum Gespräch über Bühnensituationen und -erfahrungen, über das Schreiben und feministische Politik.

Was hat dich ursprünglich an dem Text von Jelinek fasziniert, und wie kam es zu diesem zweiten, von dir collagierten Teil?
Jelineks Sprache und viele Themen die sie behandelt, faszinieren mich sehr. Für „Der Tod und das Mädchen V (Die Wand)“ habe ich mich entschieden, weil der Text sich mit dem weiblichen Schreiben an sich und mit Bedeutungssystemen beschäftigt, und das interessiert mich selbst einfach besonders. Normalerweise schreibe oder erarbeite ich meine Inszenierungen selbst. Am Ende von Jelineks Text stand für mich aber die Frage: Und jetzt? Im zweiten Teil wollte ich daher einem Gedanken nachgehen, der sich mir als Weiterführung gestellt hat: Was passiert, wenn die ohnmächtige, wehrlose Position produktiv wird, besonders in der Sexualität.

olivia axel scheucher volkstheater wien

Jelinek greift auf Texte zurück, die in der Zeit der Frauenbewegung in den 1960ern und 70ern entstanden sind – die Zeit, in der der Slogan „das Private ist politisch“ eine zentrale Bedeutung hatte. Dass du im zweiten Teil die Hypothese aufstellst, dass eine Position der (sexuellen) Unterwürfigkeit ein subversives Potenzial entfalten kann, wirkt fast wie eine Spiegelung.
Ja, genau. Es sollte inszenatorisch eine Gegenüberstellung des Konzeptes „Zuhause“ sein; dieser Ort, der immer noch so stark den Frauen zugeschrieben wird, der aber auch als Schutzraum die Möglichkeit bietet, sich auszuprobieren und damit Rollenbilder zu verändern. Gerade die Autorinnen Bachmann, Haushofer und Plath, auf die sich Jelinek bezieht, haben sich in ihrem Zuhause versteckt und wurden durch die Rezeption zu Opfern eines patriarchalen Kulturbetriebs stilisiert. Jelinek kritisiert sowohl die Rezeption als auch das Verhalten der Autorinnen selbst, das sie wohl kaum als feministisch einstuft, und macht sich darüber lustig.

Auch in deiner Inszenierung scheint der Humor ein wichtiges Element zu sein.
Es sollte definitiv lustig sein. Jelinek ist humorvoll, und wir haben versucht, diesen Humor in die Inszenierung zu übertragen. Nick Romeo Reimann, Julian Schock (Ausstattung) und ich arbeiten oft zusammen, und wir tendieren dazu, Dinge etwas trashig zu inszenieren. Das spiegelt sich auch in dieser Arbeit. Es war auch interessant zu erfahren, dass bei der zweiten Aufführung – im Gegensatz zur Premiere am 17. November – kaum gelacht wurde. Das ist verunsichernd, zeigt aber auch, dass die Leute irritiert sind und nach Bedeutungen suchen. Das ist bei „Fugue Four: Response“ genau so. Die Leute sind sichtlich verunsichert, wenn wir Performer:innen den Raum betreten, und diese Verunsicherung hält sich ziemlich lange!

Ich habe das Gefühl, du forderst ein gewisses Unwohlsein oder Unbehagen auch heraus. Momente wie die Slow-Motion Tanzsequenz beobachtet man mit einer fast voyeuristischen Scham, das eigene Zeitgefühl verändert sich.
Ja, diese Verlangsamung steht für das eingefrorene, isolierte Leben dieser Frauen, die im Text zur Sprache kommen. Schön, dass sich das auf die Zusehenden überträgt und die Situation unangenehmer und sehr intensiv werden lässt. Das ergibt sich auch aus der physischen Nähe der Bühnensituation in der Dunkelkammer des Volkstheaters. Ich kenne den Raum gut, weil ich auch selbst darin spiele und war mir bewusst, wie intensiv Nähe und Intimität hier wirken.

Wie wurde das Bühnenbild entwickelt?
Das Bühnenbild ist von Julian Schock. Da der Text zu Beginn das Schlachten eines Tieres beschreibt, haben wir uns entschieden, darauf im Bühnenbild einzugehen. Das zeigt sich in den durchsichtigen Plastikvorhängen, die man vielleicht von Bauernhöfen oder sogar Schlachthöfen kennt. Andererseits verweisen sie auch auf den Theatervorhang, und die Möglichkeit, aufzutreten und abzugehen. Es war auch wichtig, dass diese Räume flexibel entstehen können.

Durch diese Wandelemente wird der Raum dreigeteilt, und es entstehen drei separate und doch gleichzeitig sichtbare Bühnenteile. In der Mitte der Sitzreihe hat man als Zuschauer:in eine andere Erfahrung als am linken und rechten Rand…
Genau! Spannenderweise denken viele Zuschauer:innen, am Rand wären sie ausgeschlossen. Aber ich finde, dass man am Rand den jeweils äußeren Schauspieler:innen viel näher ist, und man hat so eine ganz andere Perspektive. Ich habe überall schon gesessen, und es sind tatsächlich unterschiedliche Erfahrungen, aber es funktioniert eigentlich überall. Selbst wenn man sich ausgeschlossen fühlt, ist man es eigentlich gar nicht.

DIE WAND // WANDBEFALL, Regie Olivia Axel Scheucher. Evi Kehrstephan, Claudia Sabitzer, Nick Romeo Reimann © Marcel Urlaub // Volkstheater
DIE WAND // WANDBEFALL, Regie Olivia Axel Scheucher. Evi Kehrstephan, Claudia Sabitzer, Nick Romeo Reimann © Marcel Urlaub // Volkstheater

Die Schauspieler:innen (Evi Kehrstephan, Nick Romeo Reimann, Claudia Sabitzer) und du habt euch intensiv mit Jelinek auseinandergesetzt. Ist so eine Vorkenntnis notwendig um das Stück zu verstehen?
Jelineks Text ist anspruchsvoll, dicht und behandelt abstrakte und philosophische Themen. Beim ersten Lesen habe ich ehrlich gesagt nichts wirklich verstanden. Trotzdem ermutige ich alle dazu, sich das Stück anzusehen! Wir hatten auch im Prozess die Diskussion, ob die Inhalte – vor allem im zweiten Teil – zu komplex sind. Ich war der Meinung, wir sollten es trotzdem so belassen. Selbst wenn man das nicht alles versteht, kann man es auf einer emotionalen oder affektiven Ebene begreifen, wenn man das will. Oder sogar, wenn man das nicht will! Irgendetwas wird trotzdem ankommen, und das ist mir wichtiger als sich auf einen allgemeinen Wissens-Konsens zu einigen. Es geht nicht darum, wie in der Werbung, alles auf einen Nenner zu trimmen, den alle verstehen. Gleichzeitig sollten die Inhalte niemanden ausschließen. Deutsch auf hohem Niveau erschwert sicher das Verständnis. Aber selbst dann sind manche Sachen verständlich, oder trotzdem lustig, weil wir auch stark über Bilder und über den Körper arbeiten.

Du hast erwähnt, dass du normalerweise nicht mit schon existierenden Texten arbeitest. Kannst du über diese Erfahrung bereits ein Resümee ziehen?
Ich bin über den Vorschlag der Dramaturgie des Volkstheaters dazu gekommen, Jelinek zu inszenieren. Hätte man mir das nicht nahegelegt, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht. Obwohl es natürlich sehr viel Literatur gibt, die mich interessiert. Ich habe es als äußerst bereichernd empfunden, mit Jelinek zu arbeiten. Es ist also nicht so, dass ich kein Interesse an „fremden“ Texten habe. Aber das, was mich reizt, zu inszenieren, sind oft sehr spezifische Themen, für die ich keine passenden Texte finde. Deswegen habe ich das Bedürfnis, selbst zu schreiben, zu entwickeln oder diese Art von Collagen zu erarbeiten. Mich interessiert nicht so sehr, aus einem Text, der einen Inhalt gar nicht wirklich hergibt, etwas umzuschreiben, das so nicht gedacht war. Bei meiner Diplominszenierung (Highway of Heroes) wollte ich zum Beispiel ein Thema behandeln, für das es in der Form keine Vorlage gab. Natürlich gibt es viele Texte, die sich mit dem Militär oder mit Soldaten beschäftigen, aber nicht auf die Art und Weise, wie ich es betrachten wollte. Deshalb habe ich selbst geschrieben. Es kommt also immer darauf an. Wenn ich auf etwas stoßen würde, bei dem ich merke „ja, das reizt mich sprachlich und inhaltlich“, würde ich das machen. Aber was ich jetzt schon weiß: Bei meiner nächsten Arbeit werde ich wieder selbst schreiben.

Olivia Axel Scheucher – www.instagram.com/liscvia/

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