Wien Kultur
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Safira Robens und das Theater

Ich habe Safira auf der Filmakademie Weihnachtsparty 2019 über einen Freund kennengelernt und mich sofort verliebt. Safira Robens studiert Schauspiel am Max Reinhardt Seminar, spielt ihr zweites Stück am Wiener Burgtheater und ist auch selbstständig als Künstlerin mit Musik, Regie und Performance tätig.

Meine Mutter wurde aus Angola von einer portugiesischen Familie mitgenommen als sie drei Jahre alt war. Das war damals typisch, dass man sich Kinder für den Haushalt holte, die als Kuchenhilfe, Kindermädchen und Putzkraft arbeiten. Menschengruppen, die keine offiziellen Dokumente hatten oder eine politische Gefahr darstellten, wurden ausgebeutet. Viele Völker und Kulturen wurden vernichtet.

Die Mutter meiner Mutter war Juristin und Heilerin. Sie traf die Entscheidungen in ihrer Menschengruppe: wo zieht man hin und wann? Sie haben eine Zeitlang an so einem Wasserfall gewohnt, wo Diamanten waren. Die Mutter meiner Mutter kannte Gesänge, dessen spezifische Resonanz den Diamanten Heilwirkungen verliehen. Und dann – ich glaube, es waren sogar deutsche Truppen – wurden alle Völker weggebombt. Immer mehr Waffen kamen ins Land. Alle westlichen Nationen – Chinesen, Araber, Holländer – beuteten das Land aus für Erdöl, Diamanten. Alle wollten irgendetwas. Es gab 30 Jahre Bürgerkrieg. Katastrophennächte. Zwei Kinder der Mutter meiner Mutter sind gestorben.

Meine Mutter wurde als Kleinkind nach Portugal mitgenommen als die entführende Familie floh. Das Haus war aber dann zu klein für die Familie und die afrikanischen Kinder wurden im Wald ausgesetzt. Meine Mutter wuchs im Waisenheim auf aber erinnerte sich lebenslang an ihre Mutter. Ich habe Tagebücher von ihr gelesen, in denen sie mit sechzehn Jahre an ihre unbekannte Mutter schrieb: „Meine Mutter, wenn du nur bei mir wärst!“

Safira Robens wien kunst kultur

Dadurch, dass viele Menschen in dem Massaker ihre Familien verloren haben, waren dann Jahre später Fernsehshows zur Findung der Verwandten sehr populär. Bei meiner Geburt wollte auch meine Mutter ihre Mutter unbedingt finden, aber einen Auftritt im öffentlich Fernsehen hat sie sich nicht zugetraut. Also dachte sie „Scheiß drauf“ und erzählte dem Roten Kreuz übers Telefon, wie sie glaubte, dass ihre Mutter aussehe. Nun – meine Großmutter hatte weder Dokumente noch Ausweis noch einen offiziellen Namen und meine Mutter kannte ihren eigenen Geburtsnamen nicht, da man Waisenkinder in Portugal zu der Zeit einfach irgendeinen Namen für die Dokumente gab. Ich kann mich erinnern, wie sie jahrelang herumtelefoniert hat. Immer wieder beschrieb meine Mutter ihre Mutter und nach fünf oder sechs Gesprächen, war dann jemand da, der sie weiterleiten konnte.

Nach Jahren hat sie es dann geschafft, meine Mutter am Telefon zu haben. Zuerst ist dann meine Mutter alleine nach Angola geflogen und später sind wir dann als Familie diese Frau begegnet, die sich meine Großmutter nennt. Ich habe nichts erwartet aber als ich sie gesehen habe: das war eigentlich – bis heute – der schönste Moment. Meine Mutter und meine Großmutter sahen identisch aus.

Ich sage, ich bin Künstlerin: weil ich das brauche, weil ich das sein muss, weil ich nach Raum für Gestaltung und Transformation verlange.

Meine Großmutter hat vague Erinnerungen an heilende Zeremonien, die an ihr von ihrer Mutter durchgeführt wurde. Meine Mutter hat durch Zufall Naturmedizin gelernt und wollte auch immer von mir, dass ich Medizin studiere. Aber ich dachte mir nur, nee, ich kann nicht. Ich werde verrückt mit der Popularmedizin. Ich wollte keine Tablettenverkäuferin sein. Was mache ich mit meinem Schicksal? Das habe ich durch Kunst und Theater erforscht und ausprobiert. Wenn Theater heilend ist, dann sind Schauspieler*innen die Alchemisten – schließlich war Tschechow auch ein Arzt. Wenn man sich seine Figuren genauer ansieht, sieht man die Parallelen zwischen der Charakterentwicklung, deren Psychologie und Gesundheit. Wenn man genau hinschaut, kann man seine Krankheitsbilder erkennen. Was passiert mit Marsha, die in der Ecke mit Schnupftabak sitzt und seufzt und keinen Typen abkriegt und immer nur depressiv ist? Was passiert mit dem Typen, der immer nur in der Vergangenheit lebt?

Der Eid von Hippokrates fasziniert mich. Dieser Eid sagt aus, dass wenn man einen Kranken trifft, dass man den ohne Kosten heilt und verpflichtet ist, diesen zu retten. Diesen Eid, den jeder Arzt einschwört, gibt es seit dem antiken Griechenland nicht nur für die Medizin, sondern auch für das Theater. Im Endeffekt war die Geburtsstunde der Tragödie die Unzufriedenheit von Menschen, die keinen Bock mehr auf Komödie hatten und sich eher mit Krankheitsbildern auseinandersetzen wollten.

Liebe kann krank machen – ist aber auch auf alles andere übertragbar. Zum Beispiel, ein schlechter König, der mit seinem Ego alles zerstört. Und angenommen, es wäre nicht nur ein Stück, das man auf einer Bühne sieht, das nach zwei Stunden wieder vorbei ist. Dann müsste man mit diesen seelischen Schmerzen leben.

Das Theater ist der Knotenpunkt des Lebens: was ist der Mensch in der Welt? Welche äußeren, inneren und geistigen Einflüsse existieren? Was bedeutet das für mich, für die anderen? Wahrheit zu finden – das ist immer persönlich.

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Als ich damals aus dem Flugzeug in Afrika ausstieg, um meine Großmutter kennen zu lernen, befand ich mich in einer anderen Welt. Alle sahen so aus wie meine Mama. Vor allem die alltägliche Lebensphilosophie und die alltägliche Kultur prägten mich. Kultur ist sehr stark mit Arbeit verbunden, die man tut, um zu überleben. Kunst ist der kreative, voraussendende Umgang damit, das Leben durch Überlebensmechanismen zu meistern, welche Werkzeuge, wann, wie und umso fremder, umso schöner oder wirkungsvoller. Umstände in Afrika sind anders, sehr direkt. Alles kommt darauf an, wo man ist, welche Straße, welche Familie zu welcher Uhrzeit. Was mich vor allem beeindruckt hat, war eigentlich die Schönheit, die ich in allem gesehen habe, auch wenn es nur Körperhaltung ist: wie man sich selbst von A nach B trägt. Wie Haare geflochten werden. Da beginnt die Kultur. Wie man miteinander spricht, wie man sich kleidet.

Ich finde, es ist leicht Kultur mit Luxus zu verwechseln, besonders in Europa, oder eigentlich generell überall dort, wo es den Menschen „gut“ geht und sie sich nicht direkt mit dem überleben auseinandersetzen müssen, sondern eher mit der Frage nach dem wie leben und dem Gestalterischen. Kultur und Kunst muss ein Ort sein, wo man Möglichkeiten kollektiv ausprobiert, ohne die Konsequenzen im tatsächlichen Leben austragen zu müssen. Insbesonders das Theater ist ein produktiver Konferenzraum, in dessen Narrative kollektiv diskutiert wird: „Wollen wir diese Menschen sein?“

Theater, das einen nicht betrifft, spiegelt nicht, hat keine Ambitionen – wie eine luxuriöse Kette, die kalt und trauernd in einer Schachtel im Schrank herumliegt. Für mich ist Kunst überlebensnotwendig. Wie man merkt, wie ein Bild, eine Skulptur oder eine Figur durch das Material, mit dem man ohnehin schon arbeitet, transformiert, entdeckt man diese Möglichkeiten in sich und in der Gesellschaft. Schließlich geht es um ein Miteinander. Liebe, Konflikt, Dialog, Familien, Gesellschaft, Nationen, Kriege. Unsere Welt ist wie ein kleines Kind, das Erfahrungen sammelt, um erwachsen zu werden. Wir Menschen haben das Bedürfnis zurückzublicken und Hypothesen zu stellen. Als Teil der menschlichen Kultur ist das Theater ist sehr wichtig als Raum zu Reflexion, wo Mode, Lifestyle, wissenschaftliche Errungenschaften und Geschichten (oft im Rückblick) erzählt werden.  Fantasien, Ideen und Entwürfe treffen im Theater aufeinander. Den Raum des Theaters und der Kunst zu wahren und zu verteidigen, mit Respekt zu behandeln und aufrechtzuerhalten: es braucht diesen Raum für die kollektive Prozession. Kunst ist eine Notwendigkeit.

Safira Robens – www.instagram.com/osamasaftladen/