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“Motion into Being” Reframed

Statt von einem Konzept oder einer Theorie geht die Gruppenausstellung von einer zeitgenössischen künstlerischen Arbeit aus: Anna Craycrofts Installation „Motion into Being“, die sie im Jahr 2018 am New Museum in New York realisierte.
"MOTION INTO BEING" REFRAMED, Ausstellungseinblick 2021, Sofie Thorsen, Spielplastiken, 2013, (c) the Artist, Foto: eSeL.at - Joanna Pianka
„MOTION INTO BEING“ REFRAMED, Ausstellungseinblick 2021, Sofie Thorsen, Spielplastiken, 2013

Im Zentrum der Arbeit von Anna Craycroft stehen neun Kurzfilme, die die Geschichte des Animationsfilms mit Fragen der sich wandelnden Definition dessen verknüpfen, was in der Sprache des Rechts als menschliches Subjekt gilt. Insofern die künstlerischen Praktiken von Ericka Beckman, Sara Enrico, Elisabeth Kihlström, Laure Prouvost und Sofie Thorsen Dimensionen des Spiels sowie die heterogenen Kulturen der Moderne aufgreifen, nimmt die Ausstellung bewusst Abstand von den Besonderheiten der Rechtssprache, die Anna Craycroft mit ihrer Installation in den Blick nimmt, um „Motion into Being“ und die anderen Arbeiten der Schau in einen offenen Dialog treten zu lassen.

Auch wenn für “Motion into Being” Reframed eine singuläre Arbeit als konzeptueller Ausgangspunkt diente, ist das im Titel genannte „Reframing“ als eine unhierarchische Herangehensweise an das Kuratieren einer Gruppenausstellung zu verstehen. So ist „Frame“ hier im Sinne des (analog) filmischen Produktionsprozesses gemeint, als eine Reihung von gleichwertigen „Bildern“ – in diesem Fall künstlerischen Arbeiten –, während das Präfix „Re-“ auf die Wiederaufführung bzw. Neukontextualisierung von Craycrofts Arbeit verweist.

Zu den einzelnen künstlerischen Positionen.
Sofie Thorsens „Spielplastik, 2013/2021“ aus ihrer Serie von gleichnamigen Arbeiten zu Spielgeräten im öffentlichen Raum in Wien befasst sich mit der Verknüpfung von Städteplanung, sozialen Strukturen und einer Ästhetik des freien Spiels. Die zumeist nicht mehr existierenden Konstruktionen und Gerüste, die Kindern im städtischen Raum als Orte der Bewegung, der Zusammenkunft und des kreativen Austauschs dienten, stellen den Ausgangspunkt von Thorsens Arbeit dar. Insofern die Künstlerin den Fokus auf die 1950er- und 1960er-Jahre und die abstrakte Formensprache der Wiener Nachkriegsmoderne lenkt, liegt den Spielplastiken eine historische Perspektive zugrunde. In ihren Installationen setzt Thorsen auf die „skulpturale, körperlich erfahrbare Präsenz des dokumentarischen Materials“ (Heike Eipeldauer), das auf langjährigen Recherchen 6 basiert, um sich dem Verhältnis zwischen Körper, abstraktem Objekt und öffentlichem Raum anzunähern.

"MOTION INTO BEING" REFRAMED, Ausstellungseinblick 2021, Elisabeth Kihlström, To read/To write/To zoom/To swipe, 2016,
„MOTION INTO BEING“ REFRAMED, Ausstellungseinblick 2021, Elisabeth Kihlström, To read/To write/To zoom/To swipe, 2016,

Verweist Thorsens Arbeit auf den Einsatz des gesamten Körpers und die Lenkung und Freiheit von Bewegungsströmen, so nimmt Elisabeth Kihlströms „To read/To write/To zoom/To swipe, 2016“ einen engeren körperlichen Rahmen in den Blick. In ihrer zweiteiligen Foto- und Textarbeit setzt sich die Künstlerin mit neuen Kommunikationstechnologien und deren Umschreibung von sprachlichen und gestischen Ausdrucksformen auseinander. Begleitet von beschreibenden Textpassagen, zeigen die Fotos Zoom- und Swipe-Handbewegungen, die ursprünglich den Akt des Schreibens und Lesens darstellen sollten. Auch Kihlstörm bedient sich eines historischen Referenzrahmens der Spätmoderne, insofern sie zwei Abbildungen aus dem Supplemento al dizionario italiano (1958) des italienischen 2 Designers Bruno Munari (1907–1998) neu inszenierte. Zur Illustration des von Munari verfassten Wörterbuchs italienischer Gesten genutzt, erfuhren sie bei Kihlström eine aktuelle Umdeutung und greifen die alltägliche Gestik der Smartphonenutzung auf.

Zählt das Mobiltelefon zu einer jener Alltagstechnologien, welche die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit auflösen und deren Verwendung sowohl der Leistungserbringung als auch der Unterhaltung dient, so nimmt Ericka Beckmans Film „We Imitate; We Break Up, 1978“ aus der Super-8 Trilogy, die zwischen 1978 und 1981 entstand, das Verhältnis von Leistung und Vergnügen, von Erfolg und Versagen konkret in den Blick. Ähnlich Thorsens Interesse an den Architekturen des Spielerischen, die in der Kindheit verankert sind, greift Beckman in ihrer künstle_rischen Praxis auf Strukturen des Spiels und deren sozioökonomischen Kontext zurück. „We Imitate; We Break Up“ fokussiert auf entwicklungspsychologische Ansätze, vor allem jene des Schweizer Psychologen Jean Piaget (1896– 1980), denen in den frühen Arbeiten der Künstlerin eine zentrale Rolle zukam. Eingebettet in eine Installation aus überdimensionierten Bauklötzen, die als architektonische Formen in Erscheinung treten, zeigt der Film die spielerische Interaktion von Mensch und Marionette in Szenen von Handlung und Nachahmung, um die Bedeutung eigenständiger Subjektbildung durch den sich von sozialen Regeln distanzierenden Prozess der „Akkommodation“ (Piaget) hervorzuheben. Im Rahmen der Ausstellung kann Beckmans Arbeit, deren frühe Praxis im Umfeld der Pictures Generation in Erscheinung trat, zugleich als (kunst)historischer Vektor verstanden werden, der die in „MOTION INTO BEING“ REFRAMED wiederkehrenden Diskurse der Moderne zugleich aufgreift und sich davon absetzt.

In Anna Craycrofts „Motion into Being“ finden sich zweifellos Ansätze von Beckmans Arbeiten wieder, nicht zuletzt in der Fokussierung auf animierte Objekte und historische Animationsfilmtraditionen sowie in der Einbettung der filmischen Arbeit in ein installatives Setting. Die Ausstellung zeigt eine neu geschnittene Fassung der digitalen Stop-Frame-Animation mit dem leicht veränderten Titel „Motion in Being, 2018/2021“, die neun Kurzfilme zu den Begriffen „Representation“, „Speech“, „Liberty“, „Protection“, „Property“, „Liability“, „Sovereignty“, „Standing“ und „Citizen“ mit Zwischentiteln verknüpft, welche juristischen Texten entnommen wurden. Das Recherchematerial wird zugleich Teil von Craycrofts Installation, die Aspekte des Produktionsprozesses der filmischen Arbeit integriert. So sind in der Ausstellung neben den Storyboards und „frame-by-frame“-Setboards auch textile Props zu sehen, die im Film durch die Bewegungen menschlicher Körper animiert wurden.

"MOTION INTO BEING" REFRAMED, Ausstellungseinblick 2021, links: Anna Craycroft, Motion in Being, 2018/2021, rechts: Sara Enrico, The Jumpsuit Theme, 2019, und Sara Enrico, Blanket Game (ice-breaking improvisations), 2018–2021
„MOTION INTO BEING“ REFRAMED, Ausstellungseinblick 2021, links: Anna Craycroft, Motion in Being, 2018/2021, rechts: Sara Enrico, The Jumpsuit Theme, 2019, und Sara Enrico, Blanket Game (ice-breaking improvisations), 2018–2021

In ihrer gegensätzlichen Materialität und Inszenierung treten Craycrofts Stoffobjekte zugleich in Dialog mit Sara Enricos „The Jumpsuit Theme, 2019“, zwei Skulpturen aus einer Serie von Arbeiten, die über mehrere Jahre entstanden und deren Ausgangspunkt bei einer Installation im Außenraum des Parco Arte Vivente in Turin lag. Diese nehmen Bezug auf das TuTa, einen universell einsetzbaren Overall, den der italienische Futurismus-Künstler Thayaht (1893–1959) um 1919 entwarf. Aus Beton gegossene Körperteile, denen das simple und flexible Schnittmuster des TuTa zugrunde liegt, wurden von der Künstlerin im Sinne einer „Dramaturgie der Objekte“ (Enrico) auf einer Art Bühne inszeniert und interagieren mit Enricos Wandzeichnungen, die auf einer Serie digitaler Zeichnungen – Blanket Game (ice-breaking improvisations) (2018–2020) – basieren. Ebenso wie ihre Skulpturen sind auch die Wandarbeiten „als Narration“ (Enrico) zwischen Körperlichkeit und Abstraktion angesiedelt und nehmen das Verhältnis von Zwei- und Dreidimensionalität in den Blick. Enricos Arbeiten fungieren als Grenzgänger, die sich an der Schnittstelle von statischen Objekten und Bildern und der imaginierten Belebtheit von Körpern und Räumen bewegen.

Realität und Fiktion verschränkt auch Laure Prouvosts Videoarbeit „It, Heat, Hit, 2010“, die zwischen narrativer Erzählung und der fiktiven Interaktivität eines Spiels, dessen Regeln nicht nachvollziehbar sind, angesiedelt ist. Die rhythmische Struktur von Prouvosts Bildsprache, die It, Heat, Hit zugrunde liegt und mittels deren die Betrachter_in addressiert wird, durchkreuzt die Regelhaftigkeit eines Spiels, zu dessen Teilnahme das Publikum mittels Texteinblendungen aufgefordert wird. 3 Prouvosts desorientierende Schnitte, klaustrophobische Bildsprache und Scheincharaktere im Prozess der Identitätsfindung durchbrechen die Grenzen zwischen filmischem und realem Raum, um das Versagen und den Zusammenbruch geordneter Verhältnisse nicht nur für, sondern mit den Betrachter_innen aufzuführen.

Ausstellung: “Motion into Being” Reframed
Künstler*innen: Anna Craycroft, Ericka Beckman, Sara Enrico, Elisabeth Kihlström, Laure Prouvost, Sofie Thorsen
Ausstellungsdauer: Mi, 14.07.2021 – Sa, 18.09.2021
Öffnungszeiten: Di–Fr, 11 –18 Uhr, Sa: 11 – 15 Uhr, So, Mo und an Feiertagen: geschlossen, Eintritt frei

Adresse und Kontakt:
Ausstellungsraum der Akademie der bildenden Künste Wien
Eschenbachgasse 11, Ecke Getreidemarkt, 1010 Wien