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David Schiesser. Kein Ende in Sicht

Im ICE von Berlin nach Bregenz sitzt einer, der die neue Direktverbindung in vollen Zügen genießt. Er lümmelt sich am Fensterplatz zusammen, steckt die Kopfhörer in die Ohren und beginnt eine Zeichnung mit einem frisch gespitzten Bleistift. Er zeichnet zwei Figuren mit viel zu großen Köpfen, die sich die Hand halten. Dazu Buchstaben, die so ein bisschen wie der Wind über das Blatt und die Haare der Figuren fliegen. Sie ergeben den Satz: „Kein Ende in Sicht."

Wie würdest du deinen Stil beschreiben?
Ich bin an effizienten Linienzeichnungen als Verfahren interessiert, also sozusagen eine Idee ressourcenschonend und zügig mit Bleistift aufs Papier (DinA5/A4) zu bekommen und dabei eine gewisse Qualitätsgrenze nicht zu unterschreiten. Das ist mein alltägliches Training, um in der Zeichnung fit zu bleiben und scheint mir der Kern meiner Arbeit zu sein. Gelungenes findet manchmal den Weg auf den Keilrahmen oder in den Raum bzw. wird weiterbearbeitet. Wobei sich im größeren Format bei mir immer auch Stilschwankungen äußern. Es ist dann schon so ein bisschen ein ständiges Erarbeiten neuer Formsprachen und Techniken, begleitet von einer sich deutlich langsamer verändernden Personalikonografie.

david schiesser

Da kann ein Jahr lang ein Fisch in fast jeder Leinwand auftauchen und irgendwann ist er einfach weg. Und plötzlich zeichne ich dann mit Pinsel und Farbe. Ich kann eine Woche lang täglich am Thema Kartoffelschale entlang zeichnen, um sie dann zwei Jahre später erst wiederzuentdecken. Das inspiriert mich dann zu Overalls, die ich wiederum mit Zeichnungen aus Bahninnenräumen versehe. En passant werden die Zeichnungen auch immer wieder tätowiert. Die Fotografien davon benutze ich dann wiederum als Material für andere Arbeiten. Es ist oftmals ein chaotisches Hin – und Herspringen von Gedankenblitzen, die sich einer seriellen Interpretation oftmals verweigern, auch wenn sie manchmal formal ähnlich sind.

Der Stil ist für mich abseits des Sichtbaren auch vor allem ein Konzept der Herangehensweise; Prozesshaftes, Gedanken und Mediensprünge, die sich bei mir dann in zügigen Zeichnungen äußern, weil es eine Sprache ist, die ich verstehe, aber auch Anderen schnellen Einlass bietet. Es ist ein ständiger Denk- und Produktionsprozess, der sich in einer Ausstellung kurz manifestiert, um dann von Neuem wieder vor sich hinzublubbern.

Was sind deine Themen oder deine Schwerpunkte?
Der Akt begleitet mich schon seit ich zeichne. Nackte zu zeichnen und immer wieder an bestimmten Körperpartien zu scheitern und dann nochmal anzufangen. (Wobei ich nie wirklich mit Modellen arbeite, das wäre mir zu erlaucht.) In letzter Zeit schleicht sich immer wieder auch Kleidung in die Bilder, sozusagen als Zeitmarker. Das Textile ist auch als Linie sehr reizvoll denkt man an Honnecourts wallende Gewänder. Weiterhin bin ich immer wieder angefixt von kartografischen Konzepten. Ganz grundsätzlich unser Verlangen nach 2D; die Verflachung der Welt. Und dann einfach changierende Themenblöcke, je nach Gespräch, Podcast oder Hörbuch. Aale. Klimakrise. Selbstreferentielles. Manchmal ganz Banales, um humorvoll der Ohnmacht Luft zu machen, dass man an die ganz großen Antworten nicht rankommt. Es bleiben immer nur die Fragen, die sich von Mikro nach Makro hochschaukeln, um dann noch mehr unbeantwortet zu lassen.

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Ich flüchte mich dann oftmals in Perspektivspiele oder andere formale Fummeleien. Oder auch in manchmal allzu paradiesisch-renaissancielle Darstellungen vom harmonischen Miteinander zwischen Tier und Mensch, eingebettet in ausgewogener Flora. Dabei weiß ich ganz genau, dass der Regenwald gerade abgeholzt wird. Es ist so eine Spannung drin, die mich beruhigt, wenn ich zeichne.

Wie entstehen deine Bilder?
Manchmal steht ein Titel am Anfang, ein Vermerk. Dann zeichne ich darauf hin. Mit einer Idee im Kopf. Oftmals sind es aber auch totale Automatismen. Ein Körper bedingt den Nächsten, dann wahllos erscheinende Zahnreihen, kurze Nachdenkpause, vielleicht ein Schlürf Earl Grey, um plötzlich zum Ende der Zeichnung doch noch den Kreis zu schließen. Lippenlinien zeichnen. Der komische Strich da könnte doch eine Bettkante sein! Fertig ist das Liebesspiel aus oraler Perspektive des masturbierenden Dritten. Vieles landet natürlich auch im Papierkorb oder in dafür ausgewiesene B-Ware-Boxen. Es entsteht über die Zeit ein Archiv an Bildideen. Und jedes noch so kleine Fitzelchen Welt lohnt gezeichnet zu werden. Ich arbeite für Ausstellungen dann oft ortsbezogen und verwebe dann Bestehendes mit Aspekten, die mir zu dem Ausstellungsraum oder der Stadt auffallen.

Was machst du in deiner Freizeit?
Ich besichtige Ritterburgen.

Gibt es etwas über dich, das die Leser unbedingt wissen sollten?
Wenn du das liest und gerne Schach spielst: Adde mich (americanfisherman34) auf chess.com

Woran arbeitest du im Moment? Was sind deine nächsten Projekte/Ausstellungen?
Ich bin in kurzen Abständen zweimal Papa geworden, weshalb ich im Moment viel damit beschäftigt bin, nach einer adäquaten Vaterrolle zu suchen. Wenn man den aktuellen Diskurs über Care-Arbeit ernst nehmen will, bleibt vor allem wenig Zeit im Atelier übrig. Das verändert auch meine Arbeitsweise. Ansonsten entsteht gerade ein Buch mit Zeichnungen 2016-2021 und eine Internetseite, die 3D-Scans von Tätowierungen in eine Landschaft umwandelt und dabei Bezüge zu Open-World-Games herstellt.

David Schiesser – www.davidschiesser.com